Beitrag von Dr. Dr. Predrag Bukovec
Die Corona-Krise hat jetzt schon fatale Auswirkung auf das Leben der Menschen. Davon bleibt auch die Liturgie nicht verschont, die mit einer noch nie dagewesenen Situation konfrontiert ist, nämlich mit dem Einstellen der öffentlichen Gottesdienste in den Kirchen. Das liturgische Leben spielt sich für die meisten Menschen nun vor allem zu Hause ab.
Eine bemerkenswerte Initiative, die sich durch die digitalen Kanäle schon in viele Wohnungen auf der ganzen Welt verbreitet hat, ist das „Licht der Hoffnung“. Dabei wird jeden Abend am Fenster eine Kerze entzündet und das Vaterunser gebetet. Das Basisritual kann durch weitere Feierelemente wie eine Vesper oder eine Schriftmeditation angereichert werden. Die Gemeinde St. Pankratius im hessischen Oberhausen-Osterfeld hat damit einen liturgischen Baustein ins Rollen gebracht, der binnen kürzester Zeit große Akzeptanz fand und der auch seitens der Kirchen als ökumenisches Zeichen aufgegriffen wurde. Die Liturgischen Institute im deutschsprachigen Raum haben das Hoffnungslicht in ihre Aussendungen aufgenommen und Materialien zur Hand gegeben; in Österreich rufen katholische, evangelische und orthodoxe Kirchenleitungen zum Mitfeiern auf. Der Hashtag #lichterderhoffnung soll diese Gebetsaktion in den sozialen Netzwerken verbreiten. Die Initiative hat darüber hinaus weltweite Resonanz erfahren.
Anamnetische Solidarität
Das sichtbare Anzünden einer Kerze am Fenster lässt in die bedrohte Außenwelt hinein ein Zeichen der christlichen Solidarität und Hoffnung aufleuchten. Man verbindet sich im Gebet mit den anderen Betenden. Allein schon das Fenster ist in der gegenwärtigen Situation ein durchlässiges Zeichen, Grenze und Kontaktmöglichkeit zugleich, physische Trennung und Zusammenstehen in einem. Gerade auch angesichts der Vereinsamung, die die Coronakrise für viele Menschen mit sich bringt, leuchtet die Kerze dagegen an und drückt Solidarität aus: Wir sind füreinander da, wir denken an euch, wir beten gemeinsam mit euch.
Mit der Zeit wird es sicher sinnvoll sein, der größer werdenden Zahl der am Coronavirus Verstorbenen mit diesem Licht zu gedenken und so auch eine Form der anamnetischen Solidarität zu üben. In einer Situation, in welcher die Opfer des Virus in Einsamkeit ohne das Beisein ihrer Angehörigen sterben müssen und die Angehörigen nicht einmal Abschied nehmen können (selbst bei den Beisetzungen ist die Personenzahl limitiert), wird dieses kleine Licht in einer so großen Dunkelheit auch unsere Verletzlichkeit auszudrücken.
Licht der Osternacht
So schlicht und niederschwellig das Licht der Hoffnung auf den ersten Blick erscheinen mag, so treffsicher und tiefgründig zeugt es von einem Gespür für den Geist der Liturgie: In der diesmal derart speziellen Fasten- und Osterzeit kann die Kerze das Licht der Osternacht symbolisieren, Christus als Licht der Welt (Joh 8,12) und Christus als der glimmende Docht, der nicht erlischt (Jes 42,3–4). Die in der Liturgie an sich schon reiche Lichtsymbolik erinnert bei diesem abendlichen Ritual zudem an das Luzernar in der Vesper.
Der Kerze als nonverbalem Element ist das Vaterunser als verbales Element beigesellt: das Basisgebet aller Christinnen und Christen ökumeneweit. Und auch dies entspricht einem folgerichtigen liturgischen Impuls, denn das Vaterunser ist wohl der älteste Teil des täglichen Gebets der Kirche – es geht bis in die Anfänge zurück, wie die um 100 n. Chr. verfasste Kirchenordnung der Didache (Kapitel 8) zeigt. Schon in neutestamentlicher Zeit beteten Christinnen und Christen in ihren Häusern das Gebet des Herrn und heiligten so den Tag.
Das Erfrischende am Hoffnungslicht ist, dass es keine großangelegte Liturgie ist, aber es ist ein liturgisches Ritual. Seine Mitfeier ist erfahrungsintensiv und trotzdem nicht von besonderen Voraussetzungen bestimmt. In seiner liturgiesensiblen Konzeption handelt es sich um etwas, das auch im wörtlichen Sinn einen „Glanz edler Einfachheit“ (SC 34) ausstrahlt.
Erstveröffentlichung: Gottesdienst 54/9 (2020) 105.