Hochrangige Kirchenvertreter mit Erzbischof Viganos und Kardinal Müllers an der Spitze rufen zum Kampf: Sie identifizieren die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie als Verschwörung der Mächtigen dieser Welt („Mächte der Finsternis“), sparen nicht mit unsäglichen Unterstellungen und reklamieren als „Grundrecht, das der Herr Jesus Christus ihr gegeben hat“ die Aufhebung der Beschränkung für gottesdienstliche Versammlungen.
Ich wurde gefragt, ob ich mich mit meinen kritischen Corona-Rückfragen an die Kirchenleitung in Österreich (Blog-Beitrag vom 8.5.20) nicht in der Nähe dieser Verschwörungstheorie bewege:
Sie haben letzte Woche angemerkt, dass die Kirche in der Frage der Anti-Corona-Maßnahmen bei Gottesdiensten zu brav, ja schmerzfrei gegenüber den staatlichen Regelungen war. Gleichzeitig stimmen Sie zu, dass sich auch die Kirche nach wissenschaftlichen Ergebnissen zu richten hat. Sehen Sie Gemeinsamkeiten mit den Verfassern besagten Aufrufs, die Kirche solle sich vom Staat und seinen Gesetzen nicht einschüchtern lassen und eigene, selbstbewusste Lösungen finden?
Ich verstehe meinen Diskussionsbeitrag als vorsichtige Rückfrage an die Kirchenleitung um Prüfung der gegenwärtigen Ereignisse „im Licht des Evangeliums“: Sie dient der Sammlung aller guten Kräfte und Bemühungen, und nicht einer Absage an den sozialen Zusammenhalt oder das Zusammenwirken von Kirche und Staat.
In der gegenwärtigen COVID-19-Krise ist jegliches Agieren, sei es von Kirche oder Regierung, das nicht auf der Grundlage wissenschaftlicher Ergebnisse basiert, schlicht verantwortungslos. Dass es unter Virologen unterschiedliche Auffassungen gibt, ist bekannt. Man wird sich also an den Mainstream des wissenschaftlichen Diskurses halten, und nicht an Außenseiterpositionen. Mein Punkt war, dass Virologen im Kontext der Kirche keine exklusive Deutungshoheit haben können. Im Idealfall interpretiert die Kirchenleitung wissenschaftliche Erkenntnisse „im Licht des Evangeliums“ und trifft die notwendigen Maßnahmen. Dass viele Entscheidungen in der gegenwärtigen Krise unter großem (Zeit-) Druck erfolgen mussten, ist evident. Aber es waren Entscheidungen mit teilweise eminenten theologischen Implikationen: Gottesdienste ohne jegliche physische Anwesenheit von Gläubigen. Wäre nicht das biblische Minimum von „zwei oder drei“ stellvertretend Mitfeiernden von Anfang an verhandelbar gewesen? Oder: Schwerstkranke und Sterbende ohne jegliche seelsorgliche Begleitung? Für viele entstand der Eindruck, dass die Kirche in Österreich – im Unterschied etwa zum Handel oder der Gastronomie – nichts forderte, was ihren Spielraum erweitern hätte können. Eine solche Nachdenklichkeit hat nichts damit zu tun, dass Kirche an wissenschaftlichen Fakten und staatlichen Gesetzen vorbei „selbstbewusste“ Lösungen finden solle. Die Leugner der Gefährlichkeit des Virus werden früher widerlegt sein als die Leugner des Klimawandels …
Mag. Erhard Lesacher, Leiter der THEOLOGISCHEN KURSE und der AKADEMIE am DOM