Anmerkungen zur Geschichte des Eheverständnisses und der Trauungsliturgie

„Warum heute (noch) heiraten?“ – Diese Frage lässt sich im Blick auf die nunmehr zu unternehmende Zeitreise durch die Geschichte der Ehe und Trauung nochmals zuspitzen auf die nicht minder interessante Frage „Warum heute (noch) kirchlich heiraten?“ Klingt darin doch ein Zusammenhang zwischen einer Lebensform und ihrer religiösen Legitimierung an, der sehr vertraut und doch weniger selbstverständlich ist als gemeinhin angenommen.

Im Kanon der sieben im Mittelalter von der römisch-katholischen Kirche definierten Sakramente stellt die Ehe in mehrerlei Hinsicht eine Besonderheit dar. Als gesellschaftlich-rechtliches Phänomen ist sie zunächst weder in ihrem Zustandekommen noch in der gelebten Praxis ein genuin christliches oder kirchliches Geschehen: Vielmehr heiratet man in den verschiedensten Kulturen und Gesellschaften: ob zur Grundlegung einer Versorgungs- und Produktions­gemeinschaft, zur Regulierung des Sexuallebens, d. h. um gesicherte Nachkommenschaft zu haben, oder – erst in jüngerer Zeit – aus Liebe. Die stabile Verbindung von Mann und Frau, dazu angetan neues Leben hervorzubringen, wird bis heute häufig religiös bestimmt. Doch auch wo der ausdrückliche Transzendenzbezug fehlt, erscheint der Eintritt in den neuen Lebensstand fast immer rituell eingebunden.

Für die Sakramententheologie wie auch für die Theologie der Trauung wirft das Fragen auf, die an dieser Stelle nur angedeutet werden können: Ist das „weltlich Geschäft“ der Ehe dennoch der „gottgefälligste Stand“ – wie Luther vertritt? Worin gründet die Sakramentalität der Ehe und welchen Stellenwert hat die Liturgie der Trauung? Wie verhält sich die sakramentale Feier zum postulierten Lebenssakrament Ehe? Wird das Sakrament der Ehe demnach gefeiert und/oder gelebt? Wer ist der Spender des Sakraments?

Biblische Grundlegung

Beginnen wir am Anfang und nehmen wir sogleich ein Ergebnis vorweg: Die Bibel formuliert nirgendwo eine systematische Theologie, auch nicht zur Ehe. Doch Jesus bezieht sich auf Anfrage der Pharisäer bezüglich der Ehe(scheidung) auf den „Anfang der Schöpfung“ (Mk 10,6; Mt 19,4). Dementsprechend sieht auch die Kirche die Ehe in der Schöpfungswirklichkeit begründet.

Die Schriften des Alten Testaments spiegeln die patriarchale gesellschaftliche Realität ihrer Entstehungszeit: Sowohl die Stammväter als auch die Könige Israels praktizierten die Polygamie. Thematisiert werden außerdem die Bedingungen einer Eheschließung und das Recht auf Ehescheidung, etwa infolge von Ehebruch. Laut Dekalog kann freilich prinzipiell nur die Ehe eines freien israelitischen Mannes gebrochen werden, da nur er besitzfähig ist; ebenso reiht auch das Verbot des Begehrens die Frau ins Eigentum des Mannes ein. Eine Art Trauungsliturgie – die Segnung von Tobias und Sara durch Raguel beim Abschied – erwähnt nur, fast beiläufig, das Buch Tobit (Tob 10,11). Die metaphorische Anwendung der ehelichen Beziehung von Mann und Frau auf die Beziehung JHWHs zu seinem Volk findet sich hingegen öfter bei den Propheten, etwa Hosea, Jeremia und Ezechiel. Israel kommt hier die Rolle der geliebten, aber untreuen Frau zu.

Im Neuen Testament begegnet die – eschatologisch motivierte – Ehelosigkeit als Option „um des Himmelreiches willen“ (1 Kor 7; Mt 19,10–12), also mit Blick auf das hereinbrechende Reich Gottes; lediglich einmal ist im Kontext der Nachfolge auch vom Verlassen der Frau die Rede (Lk 18,29). Eine wichtige Wegmarke für das christliche Eheverständnis ist das in mehreren Varianten überlieferte Ehescheidungsverbot Jesu (Mk 10,2–12 par Mt 19,3–12), in dem er im Rekurs auf die Schöpfungsordnung – wohl zum Schutz der Frau – wiederholt Kritik an der jüdischen Scheidungspraxis übt (vgl. Mt 5,31f; Lk 16,18). In diesem Sinne qualifiziert auch Paulus das Beisammenbleiben von Mann und Frau als „Gebot des Herrn“ (1 Kor 7,10f). Die Frau ist hier dem Mann rechtlich gleichgestellt: Für beide gilt die Verpflichtung, einander nicht aus der Ehe zu entlassen, außer im Falle – einer nicht näher bestimmten – „Unzucht“ (Mt 5,23); später versteht man diese Klausel vereinzelt als ein Gebot. Ähnlich wie in den alttestament­lichen Prophetenschriften bringt auch der Epheserbrief (Eph 5,21–33) die Zusammengehörigkeit von Mann und Frau als Bild für die Beziehung Christi zur Kirche. Der Verfasser tut dies im Kontext einer Ermahnung zur Ehe (Paränese), mit dem Ziel, seinen heidenchristlichen Adressaten ein ansprechendes und in der paganen Umwelt wettbewerbsfähiges Ehemodell zu bieten: Die Bindung des Mannes an seine ihm schöpfungsgemäß ebenbürtige Frau, ihr Einswerden, illustriert die staunens­wert innige Beziehung zwischen Christus und den Seinen – die ihm dennoch nicht gleichrangig sind. Dieses Gefälle zwischen Christus, dem Haupt, und seinem Leib, der Kirche, dürfte in der zeitgenössischen antiken „Haustafel“, in der die Frau ihrem Mann selbstverständlich untergeordnet ist, eine zumindest nicht unpassend erscheinende Entsprechung gefunden haben. Der Intention nach erfährt die bestehende patriarchale Ordnung in diesem Text also eine innovative Revision und Neudeutung. Die Wirkungsgeschichte des Textes hat freilich weniger diese Korrektur als die scheinbar „christologisch vertiefte“ Festschreibung der ungleichen Geschlechterrollen bewahrt. Das in Eph 5,21–33 noch klar erkennbare Element der Gegenseitigkeit hat sich im christlichen Ehealltag durch die Jahrhunderte hin deutlich weniger niedergeschlagen.

„Wie alle anderen auch“?

Die Christen heiraten nun „wie alle anderen auch“ (Diognetbrief 5,6), was an der Wende vom 2. zum 3. Jh. als geradezu rechtfertigend angeführt wird. In diesem Punkt bieten die Christen keine Angriffsfläche, im Gegenteil: dass sie keine Kinder aussetzen, spricht für sie.

Wie aber heiraten alle? Nach römischem Recht kommt eine Ehe durch die willentliche Übereinstimmung der Partner zustande (Konsensprinzip). Die darin anklingende Freiheit der Partner war dennoch eine eher theoretische: Vielmehr oblag die Entscheidung den Eltern, näherhin dem Vater, eine Tochter aus der eigenen Vormundschaft in die des Ehemannes zu übergeben. Diesem wurde sie – nach antik-römischem Brauch – jungfräulich und in einem roten Schleier zugeführt. Ein Reflex davon findet sich noch heute im Einzug der weiß verschleierten (symbolisch für die noch unberührte, „reine“) Braut am Arm ihres Vaters, der sie zu ihrem am Altar wartenden Bräutigam geleitet.

Die germanische Rechtsauffassung hingegen legte der Gültigkeit der Ehe den leiblichen Vollzug zugrunde (Kopulationsprinzip). Die kirchliche Ehelehre des Mittelalters sieht seit Alexander III. († 1181) eine Verbindung beider Prinzipien vor: Gültig wird eine Ehe durch Konsens, unauflöslich durch Vollzug. Von daher kann das 12. Jh. als wichtige Umbruchszeit für Eherecht und Ehepraxis abendländischer Prägung gelten.

Doch – ob römisch, germanisch, mittelalterlich oder aufgeklärt – keineswegs jedermann und schon gar nicht jedefrau galt in der Realität (fast bis unserer Tage) als „ehefähig“, sondern heiraten konnte nur, wer eine entsprechende soziale oder juridische Stellung innehatte. Infolgedessen gab es unterschiedliche Formen von Ehe und eheähnlichen Verhältnissen: Durch die Muntehe etwa wechselte eine Frau den Vormund (Ehemann statt Vater) – der statistische Normalfall von Ehe. Die – in ihrer historischen Realität umstrittene – auch zwischen sozial ungleichen Partner gleichberechtigte Friedelehe (von friudiea = Geliebte) entspräche nach heutigem Verständnis am ehesten einer Liebesheirat. Die Kebsehe (Kebse = Nebenfrau) wiederum war ein einseitig verfügtes Zwangsverhältnis. Die daraus stammenden unehelichen Nach­kommen nannte man „Kegel“ – ein Mann konnte demnach „mit Kind und Kegel“ gesegnet sein. Wer im Konkubinat, also dauerhaft monogam zusammenlebte, aus verschiedenen Gründen aber nicht heiraten konnte, durfte immerhin laut Kirchenrecht noch des 11. Jhs. zur Kommunion gehen.

Nicht immer war indes klar, wer zum wem in welchem Verhältnis stand. Es gab diesbezüglich in den wenigstens Fällen Rechtssicherheit. Eine Unklarheit, die vor allem für Frauen gefährlich war, die sich jederzeit verlassen wiederfinden konnten, sobald ein Mann unter Bestreitung der Ernsthaftigkeit des Konsenses – nicht selten im Falle einer Schwangerschaft – das eheliche oder eheähnliche Zusammenleben einfach aufkündigte. Um die Praxis solcher nicht bekannt gemachten (klandestinen) Ehen einzudämmen, verfügte die Kirche, dass eine Ehe wenigstens einmal öffentlich angekündigt werden müsse und gültig nur in Anwesenheit des zuständigen Geistlichen und vor zwei Zeugen geschlossen werden könne. Diese als „Formpflicht“ im Dekret Tametsi auf dem Konzil von Trient (1563) festgeschriebenen formal-rechtlichen Mindeststandards gelten bis heute für alle Angehörigen der römisch-katholischen Kirche. Damit ließ sich sowohl die Ehefähigkeit der Partner feststellen als auch – nicht unerheblich für die Partnerinnen – das Problem der heimlichen Ehen und Doppelehen vermeiden. Die Stellung der Kirche zur Ehe hatte einerseits pragmatische Gründe: das Streben nach Einheit und Unauflöslichkeit der Ehe für alle, die Durchsetzung des Scheidungsverbotes im Westen und die Vereinheitlichung des Eherechts, die Betonung des Konsenses als allein ehebegründend; zudem wächst das Interesse an Öffentlichkeit. Andererseits war der Kirche an der theologischen Rechtfertigung der Ehe gegenüber ihrer – teils dualistischen, teils leib-, geschlechts- und frauenfeindlichen – Bestreitung gelegen, von der sich schon Augustinus herausgefordert sah. Ihm verdanken sich die Qualifizierung der Ehe als „Heilmittel gegen die Begehrlichkeit“ sowie die grundsätzlich positive Bestimmung der klassischen Ehezwecke: Nachkommen, Treue – und Sakramentalität.

Die Frage nach der Sakramentalität

Auf der Grundlage jenes „großen Mysteriums“, das in der Ehe die Einheit zwischen Christus und der Kirche abgebildet sieht (Eph 5,32) ist im Hochmittelalter die Sakramentalität der Ehe eine Selbstverständlichkeit. Bestritten bis fraglich bleibt hingegen noch für längere Zeit ihre gnadenhafte Wirkung, insbesondere bei der Frau.

Im 20. Jh. wird in der Enzyklika Piusʼ XI.  Casti connubii (1930) erstmals ein explizit personaler Zugang zur Ehe greifbar, den das Zweite Vatikanische Konzil in der Pastoral­konstitution Gaudium et spes sodann in personaler und ganzheitlicher Perspektive breit entfaltet: Die Ehe steht im Horizont der Liebe (Gottes und der Menschen), zum Wohl der Partner, der Nachkommen und der Gesellschaft (GS 47–52). Eine biblische Vertiefung des Eheverständnisses erfolgt nicht nur im Rückgriff auf den Epheserbrief, sondern auf die gesamtbiblische Kategorie der Bundestheologie.

Die Beteiligung der Kirche an der Trauung

Nicht nur das kirchliche Eheverständnis, sondern auch die Beteiligung der Kirche an der Eheschließung (Trauung) unterliegt einem historischen Wandel. Den antiken Bräuchen rund um die Eheschließung im familiären Rahmen gegenüber blieb die Kirche ambivalent bis distanziert: Zwar war es nicht unüblich, einen Vertreter der Kirche einzuladen, der gegebenenfalls den Konsens bezeugen konnte; die gelegentlich praktizierte Segnung der Brautleute oder des Brautgemachs für die Hochzeitsnacht war jedoch vorrangig Aufgabe des Vaters. Aus dem allgemeinen Hochzeitsbrauchtum stammen auch die Verschleierung und Bekränzung der Braut, die Ringgabe (ursprünglich als Mitgift) und die Verbindung der Hände sowie ein symbolisches Mahl. Manches davon fand nur zögerlich die Akzeptanz der Kirche. Heute sind diese Feierelemente aus der Trauungsliturgie kaum wegzudenken.

Das Mittelalter zeigte aus den genannten Gründen zunehmend mehr Interesse an der kirchlichen Öffentlichkeit: Es wird  üblich, vor dem Tor der Kirche („im Angesicht der Kirche“) zu heiraten (Brauttorvermählung), und man lässt die Verbindung gerne durch einen kirchlichen Amtsträger vornehmen. Dem Priester wächst allmählich die Rolle des Vormunds zu und schließlich wird er die verbindende Eheformel Ego vos coniungo sprechen: „Ich vereinige euch.“ Hand in Hand mit dieser im Kern klerikalen Entwicklung geht die sakramententheologische Entfaltung der Ehe.

Am Beginn der Neuzeit kommt es, wie erwähnt, zur endgültigen Durchsetzung der kanonischen Formpflicht (Konzil v. Trient, 1563). Die Trauung findet fortan in der Kirche an den Stufen des Altars statt. Die Segnung der Brautleute hingegen bleibt ein Privileg für die Erstehe beider Partner, auch im Fall von Verwitwung. Doch der Segen begründet nicht das Sakrament und wird, wenn überhaupt, gesondert erteilt.

Welche Bedeutung hat die Liturgie?

Anders in den Kirchen des Ostens, wo das priesterliche Segensgebet als Bedingung für das gültige Zustandekommen der (ersten) Ehe als Sakrament („Krönung“) angesehen wird. Eine in bestimmten Situationen zugestandene zweite oder gar dritte Wiederheirat hingegen wird zwar geduldet und anerkannt, gilt aber nicht als sakramental. In der Westkirche, in der die Segnung dem Ursprung nach nicht Sache des Amtsträgers gewesen war und der Segen in seiner traditionellen Form nur der Braut, nicht aber dem Bräutigam galt, erachtete man sie hingegen bis in jüngste Zeit als nicht konstitutiv für die Sakramentalität der Ehe. In den Kirchen der Reformation gilt die Trauungsfeier als Einsegnung einer bereits zuvor geschlossenen Ehe.

Die verschiedentlich diskutierte Frage nach dem Spender (minister/assistens) eines Sakramentes ist insofern heikel, als sie eine falsche Alternative bietet: Gott allein „spendet“ das Sakrament durch das und im Tun der Feiernden, ob das nun Priester oder Laien sind oder – dogmatisch singulär für das Sakrament der Ehe(schließung?) – das Brautpaar. Primär Handelnder (Subjekt der Liturgie) ist Gott/Christus, daran teilnehmend (sekundär) ist es die zur Feier versammelte ganze Gemeinde. In diesem Sinne vermitteln Braut und Bräutigam einander jene Heilsgabe, die Gott selber ist.

Die Gültigkeit der Ehe beruht auf dem Konsens, die Unauflöslichkeit auf ihrem Vollzug. Worin aber gründet die der Ehe zugesprochene Sakramentalität? Die Liturgie­konstitution Sacrosanctum Concilium stellt die Feier der Sakramente in einen unabdingbaren Zusammenhang mit dem Glauben (SC 59). Die Pastorale Einführung im Trauungsrituale formuliert unter Berufung darauf konsequent: „Das Sakrament der Ehe fordert den Glauben und soll zu dessen Vertiefung führen.“ Die maßgebliche Voraussetzung für – jede – Sakramentenfeier, d. h. auch für die Sakramentalität der Ehe, ist demnach der Glaube der Beteiligten. Einen adäquaten Ausdruck findet er in der lobpreisenden Anrufung Gottes über den Brautleuten, in der die Kirche Gottes heilsames – sakramentales – Geistwirken an diesen beiden Gläubigen erbittet. Die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils hat grundsätzlich für alle Sakramentenfeiern die Zusammengehörigkeit von Wort und Zeichen(handlung) bekräftigt und wiederhergestellt: In keiner dieser Feiern darf die Verkündigung des Wortes Gottes fehlen (Wortgottesdienst); ebenso wenig die Anrufung Gottes über jene Elemente und Personen, für deren Verbindung das Heilshandeln Gottes erbeten wird. Der Trauungssegen benennt heute die Rechte und Pflichten beider Partner und „soll immer erteilt werden“ (SC 78).

Das Hochgebet über Braut und Bräutigam

Das geltende Rituale sieht vier Formulare für den „Feierlichen Trauungssegen“ vor (I–IV). Sie alle gehören zur Gattung der Hochgebete: Darin bringt die versammelte Gemeinde Braut und Bräutigam vor das Angesicht Gottes, sie preist Gott dankbar für deren Berufung und erbittet für sie jene Erfüllung mit Heiligem Geist, die sie zum Zeugnis für Christus befähigt. In den Formen I–III beschränkt sich der heilsgeschichtliche Dank eher knapp auf die Schöpfungs­ordnung (III) und die Würdigung der Ehe als Abbild des Bundes zwischen Christus und der Kirche (I, II). Der „Feierliche Trauungssegen IV“ bietet hingegen einige weitere biblische Motive. In ihm wurde der bis 1962 verwendete spätantike römische Brautsegen verarbeitet.

Gegenüber seinem Vorbild aus der Tradition, dem Brautsegen im Missale Romanum (1570), bietet der Text einige Veränderungen und theologisch neue Akzente. Heute werden Mann und Frau gesegnet, früher hingegen allein die Frau, da nur sie – die Schwächere und Anfälligere – des stärkenden Zuspruchs bedurfte, um „treu und keusch“ das „Joch der Liebe“ tragen zu können. Während im seinerzeitigen Brautsegen der vor „unerlaubten Beziehungen“ mahnende Unterton unüberhörbar war, werden ihr heute die „Gabe der Liebe und des Friedens“ erbeten. Beiden Partnern aber werde geholfen, „deine Gebote zu erfüllen und in ihrer Ehe untadelig zu leben“. Die nunmehrige Gleich­berechti­gung des Mannes in der neu formulierten Bitte um das Herabkommen des Geistes Gottes (Epiklese) – der ihn befähigen möge, seiner Gemahlin zu vertrauen, sie zu achten und zu lieben – stellt zweifellos einen theologischen Gewinn dar.

Die biblischen Bezüge, die das bisherige, gegenwärtige und künftige Leben der Ehewilligen in der Heilsgeschichte beider Testamente verorten, sind in der heutigen Fassung insgesamt weniger und an den erhaltenen Stellen etwas schwächer als früher:

So konnte nach dem altrömischen Brautsegen weder die „Strafe der Ursünde noch das Urteil der Sintflut“ (die Vernichtung nahezu des gesamten irdischen Lebens) den auf der Gemeinschaft von Frau und Mann ruhenden Segen aufheben! Hier erscheint die Vergewisserung des erneuerten Textes, „dein Segen“ werde „trotz Schuld und Sünde“ nicht widerrufen, als Zuspruch für stürmische Zeiten vergleichsweise blass. Auch die in der traditionellen Fassung sehr konkrete Würdigung der Braut – sie sei „liebenswert wie Rachel, klug wie Rebecca, langlebig und treu wie Sara“ – ist heute verschwunden: Zwar reihe sich die Braut ein „in die Schar der heiligen Frauen, deren Lob die Schriften verkünden“, doch bleibt unklar, worin deren beispielhafte menschliche und beziehungsfördernde Qualitäten bestanden haben mögen. Anstelle der in ihrer Rezeption prekären Erschaffung der Frau „aus dem Leib des Mannes“ stehen nun die Erschaffung „des Menschen“ als „dein Ebenbild“ (Gen 1,26f) und die darin gründende „untrennbare Gemeinschaft“ zwischen Mann und Frau. Die im angedeuteten Bild der Rippe mitschwingende absolute Gleichheit (Einheit) – „Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch!“ (Gen 2,23) – der in Verschiedenheit sich zeigenden Menschen (Pl.) ist hinter der Würdigung des Menschen (Sg.) als solchem in seiner Bezogenheit auf den Schöpfer zurückgetreten. Nicht zuletzt hat die ältere Formulierung die wiederholt reflektierte Frage, ob die Ehe die Heilswirklichkeit Christi nur anzeige oder auch bewirke, klar und positiv – „geheiligt durch das Geheimnis (sacramentum) Christi“ – beantwortet. Die heutige Rede von ihrer „Würde“ als dessen „Abbild“ lässt offen, ob diesem Bild sakramentale Kraft einwohnt oder eben nicht.

Vom Umgang mit dem Scheitern?

Die auf Dauer und schöpferische Selbstüberschreitung hin angelegte Beziehung von Mann und Frau wird gemeinhin als etwas Ursprünglich-Gutes angenommen. Ebenso einhellig ist die Erfahrung, daran scheitern zu können. Ehe und Ehescheidung begegnen demnach auch in den biblischen Schriften beider Testamente als faktische Gegebenheiten, mit denen angemessen umzugehen ist. Hier ist wohl auch die von Jesus angefragte Praxis Israels einzuordnen. Seine Kritik an der „Hartherzigkeit“ der Zeitgenossen (Mk 10,5; Mt 19,8) hebt diese und alle Fragen nach dem Mit- und Füreinander der Menschen auf eine entscheidend andere Ebene: nämlich in den Horizont seiner Verkündigung vom jetzt angekommenen Reich Gottes. Jesu Weisung, einander nicht aus der Ehe zu entlassen, steht in diesem Kontext und ist durch und durch menschen­freundlich. Wie auch sonst steht Jesus auf Seiten der Schwächeren (hier der Frauen) und lässt sich von ihrer konkreten Lebenssituation anrühren. Gangbare Wege und Auswege bietet er den damals wie heute Fragenden weder in der Verschärfung bestehender noch in der Geltendmachung zeit- und situationsenthobener alter oder neuer Gesetzesvorschriften. Vielmehr zeigt Jesus das Gesetz als dort erfüllt, wo es dem Leben dient. Diese Perspektive ist der Maßstab, an dem sich die christlichen Kirchen – auch im Umgang mit zerbrochenen Beziehungen und gescheiterten Ehen – werden messen lassen müssen.

DDr. Ingrid Fischer, THEOLOGISCHE KURSE

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