Iran: Zwischen Tschador und Skaterszene. Zwischentöne einer interreligiösen Begegnungsreise

Beitrag von Mag. Dr. Elisabeth Zissler (Universität Wien) für feinschwarz.net

Das Institut für Religionswissenschaft der Universität Graz veranstaltete im Herbst 2019 eine interreligiöse Begegnungsreise in den Iran. Besucht wurden die Städte Mashhad, Teheran, Qom, Kaschan und Isfahan. Aufgrund einer Vielzahl an akademischen, kulturellen und interreligiösen Programmpunkten, konnte ein differenzierter Einblick in die Diversität und Ambivalenz des Landes gewonnen werden. Eine Frage, die sich allerdings nach der Rückkehr unweigerlich aufdrängte: Wie kann über ein Land, das so facettenreich und widersprüchlich ist, angemessen berichtet werden – ohne Klischees und Vorurteile zu bedienen? Im Folgenden einige Zwischentöne.

Religion, Politik und Lebenswelt

Im Iran ist »Religion« im öffentlichen Raum allgegenwärtig, im Gegensatz dazu wird das Private aus dem öffentlichen Leben ferngehalten. Überall in den Städten sind Flaggen zu sehen, auf denen der gegenwärtige geistliche Führer des Iran, Ali Chamenei, sowie der ehemalige Revolutionsführer Ruhollah Khomeini abgebildet sind. Des Weiteren auffällig und das Straßenbild prägend ist die Erscheinung von schiitischen Gelehrten mit weißem oder schwarzem Turban. Letzteres zeugt davon, dass der Träger seine Abstammung bis auf den Propheten Muhammad zurückverfolgen kann. Sowohl das Tragen eines Kopftuchs in der Öffentlichkeit als auch eines Tschadors[1] beim Besuch von Pilgerstätten und anderen religiösen Orten ist verpflichtend –  sowohl für muslimische als auch nicht muslimische Frauen. Die Zivilbevölkerung wird in ihrer Lebenswelt überall mit Religion und Politik konfrontiert.

Während der zahlreichen Begegnungen und Gespräche auf der Reise drängten sich weitere Fragen auf. Wie finden sich im Iran lebende Menschen in einer Gesellschaft zurecht, in der Politik und Religion so eng ineinander wirken und die jeweils eigene Lebenswelt unmittelbar bestimmen? Welche Strategien entwickelt die/der Einzelne zur Vereinbarkeit von Politik, Religion und persönlichem Leben?

»Man arrangiert sich«

Der entstandene Eindruck, so simpel er auf den ersten Blick auch erscheinen mag: »Man arrangiert sich«. Menschen haben gelernt mit dem Druck »irgendwie« umzugehen. Es wird Gehorsam geleistet. Gleichzeitig werden Grenzen ausgetestet. Dies zeigt sich augenscheinlich darin, wie unterschiedlich die Iranerinnen das verpflichtende Tragen des Kopftuchs und der Kleidervorschriften interpretieren. Ganze Stadtbilder sind dadurch verschieden geprägt. Das Tragen eines Kopftuches im „Teheran Style“ bedeutet etwa, dass es eher locker getragen und so weit wie möglich in Richtung Nacken geschoben wird. Im Gegensatz dazu sind im Stadtbild von Qom auffällig viele Frauen zu sehen, die einen Tschador tragen. Das hängt mitunter damit zusammen, dass es in Qom große religiöse Ausbildungsstätten – auch für Frauen – gibt und dort Tschador getragen wird. Zum anderen lebt in Qom eine hohe Anzahl an schiitischen Geistlichen, deren Frauen ebenso »traditionell« gekleidet sind. Die Diversität und Ambivalenz des Landes wird bereits anhand dieses Beispiels deutlich.

Kritik am Regime, aber Angst vor Umbruch

In inoffiziellen Gesprächen wurde gegenüber dem Regime durchaus Kritik geübt, allerdings zugleich auch Ängste hinsichtlich eines radikalen Umbruchs geäußert. Denn es sei nicht absehbar, was ein größerer Umsturz mit sich bringen würde. So schreibt etwa der ARD-Journalist Stefan Buchen: „Die ‚Islamische Republik‘ muss keineswegs zwangsläufig durch eine liberale Demokratie ersetzt werden (deren Wegbereiter die freiheitsliebende Jugend gewesen wäre). Die Revolutionswächter können das Land auch in eine Militärdiktatur verwandeln.“[2]

Die Ängste der Zivilbevölkerung sind nachvollziehbar, wenn man in die jüngere Geschichte des Landes blickt. Im Jahr 2019 wurde der 30. Todestag des einstigen Revolutionsführers Ayatollah Khomeini begangen. Er führte das Land in eine »Herrschaft der Rechtsgelehrten« mit all den damit verbundenen Konsequenzen. Rund 40 Jahre später wird die Lebenswelt der Menschen dadurch immer noch geprägt.

»Stiller Widerstand«

Neben den Straßenprotesten angesichts der jüngeren Ereignisse gehören mittlerweile auch Formen des »stillen Widerstandes« zur iranischen Lebenswelt. Junge Erwachsene treffen sich mehr oder weniger heimlich in Lokalen, auf Konzerten oder an Orten der neu gewachsenen Skaterszene. Facebook ist eigentlich verboten, dennoch wird es genutzt. Es ist ein ständiges Hin und Her zwischen religiös bzw. politisch motivierter Grenzziehung und zivilgesellschaftlicher Grenzübertretung.

Vielleicht haben die Religionsführer diese Formen des »stillen Widerstandes« längst als zivilgesellschaftliche Ausdrucksform akzeptiert und sehen sogar die Vorteile. Das „Wegschauen“ in manchen Bereichen wird geduldet als Kompensation für die sonst geltenden strengen Regeln.[3] Für Die Bevölkerung gilt, sich auch damit zu arrangieren.

Zwischen den Extremen

Um hier die eingangs gestellte Frage erneut aufzugreifen: Wie ist über das »Fremde« bzw. das als »fremd« Erlebte in angemessener Weise zu sprechen? Und zwar so, dass ein der Realität entsprechendes, komplexes Bild gezeichnet wird? – Kein einseitiges, so wie es häufig in der Medienberichterstattung oder zum Teil auch in Reiseberichten der Fall ist.

Im Grunde genommen geht es darum, auch Zwischentöne zu Gehör zu bringen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass jede Beschreibung immer nur einen Teil der Wirklichkeit abzubilden vermag. Insbesondere durch Medien und Politik vermittelte Informationen können dem Facettenreichtum und der Komplexität eines Landes nur  teilweise gerecht werden. Dies gilt ebenso für jene Reiseberichte in denen mit Staunen das „neue Leben im Orient“ angekündigt und gleichsam bewundert wird. Die ausgelassene, individualistische Jugendkultur in Teheran wird dabei etwa als Referenzpunkt herangezogen. Berichtet wird von Rockkonzerten, Partys und Alkoholkonsum – Stichworte, auf die sich das Leben der Jugendlichen allerdings keineswegs reduzieren ließe. Die Wahrheit liegt – wie so oft – zwischen den Extremen.

Auf der Suche nach gesicherten Informationen

So geht es nicht zuletzt um die Suche nach einer ausgewogenen Position. Zusätzlich zu den Berichterstattungen verschiedener Qualitätsmedien und differenzierten Reiseberichten, ist es darüber hinaus hilfreich, weiteres Hintergrundwissen und gesicherte Informationen zu den aktuellen Geschehnissen einzuholen. Als dafür geeignete Quelle sind etwa die Berichterstattungen und Hintergrundbeiträge der Website Qantara.de zu empfehlen. Dabei handelt es sich um ein Projekt der Deutschen Welle, das zum Dialog mit der islamischen Welt beitragen will und vom Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland gefördert wird.


Fußnoten:

[1] Ein Tschador ist ein meist dunkler Umhang, der Kopf und Körper umhüllt, jedoch nicht das Gesicht. Er wird über der übrigen Kleidung getragen.

[2] Buchen, Stefan (2016): Der Iran im Spiegel westlicher Medien. Ungläubiges Staunen, online abrufbar unter: https://de.qantara.de/inhalt/der-iran-im-spiegel-westlicher-medien-unglaeubiges-staunen [abgerufen am 8.2.2020].

[3] Vgl. ebd.


Erstveröffentlichung: https://www.feinschwarz.net/iran-zwischen-tschador-und-skaterszene/

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