Kulturgut, Fotomotiv, Wahrzeichen – den Stephansdom kennt jeder Tourist und jedes Kind. Doch geht die „Sehenswürdigkeit“ des Domes weit darüber hinaus: Innen und außen, von den Fundamenten bis zur Turmspitze, erzählt er – in Stein, Holz, Glas und Erz, in Gewand und Gerät, Klang und Raum, Schrift und Bild – seine eigene Geschichte sowie die seiner Erbauer und Besucher, deren Hoffnungen und Frömmigkeit, Ängste und Heilsvergewisserung ihn geformt haben … Der jährlich von den THEOLOGISCHEN KURSEN angebotene Spezialkurs „Der Stephansdom: Mehr als ein Bau aus Stein“ lädt dazu ein, den vertrauten „Steffl“ mit anderen Augen, vielleicht aus einer ungewohnten Perspektive oder auch einfach nur eingehender als sonst zu betrachten.
Der Steffl und seine Gäste
Unzählige Besucher tummeln sich Tag für Tag im Dom zu St. Stephan – umso schöner ist, dass in seinem zweiten Patrozinium „zu allen Heiligen“ die Zahl derer, die sich angesprochen, eingeladen und zugehörig wissen dürfen, sich vervielfacht, ja nach oben offen bleibt: Alle, ob fremd oder ansässig, treten ein, um die Schönheiten des Domes zu erkunden. Viele springen ins Auge, einige muss man – mit Hilfe der Domführer oder der im Spezialkurs vortragenden ExpertInnen der (Kunst-)Geschichte, Kirchenmusik, Architektur, Bildhauerei und Theologie – suchen …
Stein für Stein
Bis hinauf in luftige knapp 137 m Höhe ist immer etwas los: Steinmetze und Bildhauer der Dombauhütte beseitigen Schäden und besorgen die unaufhörliche Rundum-Erneuerung von Fassade und Dach. Sie kennen buchstäblich jeden Stein und arbeiten nach mittelalterlichem Wissen mit traditionellen Werkzeugen und Geräten. Eng bevölkert, aber deutlich ruhiger geht es in den unterirdischen Gängen und Grabkammern („Katakomben“) zu, in denen über 11.000 Menschen bestattet liegen.
Gläubige, Heilige …
In der Seelsorge der Dompfarre und im Gottesdienst sind Gläubige und Gäste willkommen: Die mittelalterliche, erst kurz vor der Reformation wieder entfernte Mauer („Lettner“) quer durch das Hauptschiff, die Klerus und Laien räumlich getrennt hatte, ist gottlob Geschichte. Immerhin: Letztere konnten sich in ihren Anliegen an nicht weniger als 77 Heilige und persönliche Nothelfer im Langhaus wenden. Die Heiligen von gestern und heute bezeug(t)en als mutige „Kinder ihrer Zeit“, oft an Leib und Leben gefährdet, was ihnen die Botschaft Jesu bedeutet(e).
… Schutzsuchende und Künstler
Zeugen und Mahner sind auch die Kunstschaffenden aller Zeiten: Der Baumeister der Kanzel ließ das bedrängend Böse in Froschgestalt den Handlauf emporkriechen; unter die Haut kroch es in den „Verhüllungen“ von Victoria Coeln (2017): 37 Figuren von aus dem Orient stammenden Heiligen machten – in Rettungsdecken gehüllt – auf ihre vor Verfolgung und Krieg von dort flüchtenden Schicksalsgenossen aufmerksam. Selbst die als „Asylring“ fehlinterpretierte Umlenk-Rolle eines Lastenaufzugs am Nordportal („Adlertor“) ist ein Symbol für das in jüngster Zeit wieder not-wendende Kirchenasyl.
Offene Türen
Der Dom bietet großzügig Raum – der Spezialkurs „Der Stephansdom: Mehr als ein Bau aus Stein“ mit seinen rund 40 Plätzen findet im September 2020 wieder statt. Seit dem 6. Oktober 2017 stehen auch die Türen der neu gegründeten AKADEMIE am DOM, einer weiteren Bildungsinitiative der Wiener Theologischen Kurse, offen: Wie der Namen gebende „Dom“ als Wiener Markenzeichen und Kulturgut ist auch die neu eröffnete AKADEMIE am DOM allen an gesellschaftlichen Diskursen Interessierten zugänglich. Öffentliche Vorträge und interdisziplinäre Podiumsveranstaltungen sollen zum Dialog und zur Übersetzung zwischen den Welten von Kirche, Religionen, Wissenschaft und Kultur beitragen.
DDr. Ingrid Fischer
Erstveröffentlichung: magazin Klassik, No. 6/Herbst 2017, 18-21.
Veranstaltungshinweis:
Der Spezialkurs „Der Stephansdom: Mehr als ein Bau aus Stein“ findet im Sempter 2020 erneut statt.