Wer sein Kind liebt, der schlägt es?

Zu den verrufenen Versen aus dem AT gehört der aus Spr 13,24: Wer die Rute spart, hasst seinen Sohn, wer ihn liebt, nimmt ihn früh in Zucht. In dieser Form muss man den Eindruck gewinnen, dass hier die Prügelstrafe für Kinder gefordert wird.

Ich halte diese Übesetzung für falsch – und erkenne in diesem – und ähnlichen Versen einen ganz anderen Sinn. Was die neue Einheitsübersetzung mit Rute übersetzt hat, heißt auf Hebräisch schewæt. Bekannt ist das Wort aus Psalm 23: Du bist bei mir, dein Stock (schewæt) und dein Stab, sie trösten mich. Das klingt nicht wirklich nach Prügelstrafe. Die älteste uns bekannte Übersetzung des Verses ins Griechische, die Septuaginta, bietet: „Wer die baktēría spart, hasst seinen Sohn: der [ihn] aber liebt, erzieht ihn sorgfältig.“ Das Wort für das Erziehungsmittel wird ebenfalls in der griechischen Fassung von Ps 23 gewählt: Dein Stab und dein Stock (baktēría), sie haben mich getröstet. Für „erziehen“ wählt die Septuaginta das Verb paideúō, von dem sich unser heutiges Wort Pädagogik ableitet.

Mit anderen Worten, schon in der Antike hat man diese Aussage nicht als Aufforderung verstanden, sein Kind zu prügeln. Der Gegenstand, mit dem man erzieht, kann auf den Hirtenstab oder das Szepter des Königs bezogen werden. Es geht darum, durch Anleitung zu schützen. Ein Hirte verwendet seinen Stab ja nicht, um seine Schafe zu schlagen. Eine sinngemäße Übersetzung des Verses aus Spr 13,24 lautet daher: Wer sein Kind liebt, der erzieht es. Dass Liebe etwas mit Erziehung zu tun hat, bestätigt auch ein Blick ins neue Testament. Hier sagt Christus in Offb 3,19: Ich – all denen ich Freund bin: die weise ich zurecht und erziehe (paideúō) sie. Sei also eifrig und kehr um (Ü: Fridolin Stier). Ich meine, dass all die Unrecht haben, die mit Berufung auf die Heilige Schrift ihre Kinder schlagen – was in unserem Land gottlob gesetzlich verboten ist.

Mag. Oliver Achilles


Erstveröffentlichung: http://www.kirchebunt.at/einrichtungen/kirchebunt/artikel/2019/wer-sein-kind-liebt-der-schlaegt-es

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