Tausende Tote – doch wie trauert die Gesellschaft um sie? Die Opfer der Corona-Pandemie scheinen hinter den Statistiken unterzugehen. Was kann die Kirche in dieser Situation beitragen? Gibt es Formen öffentlichen Trauerns, die nicht nur Christen ansprechen, sondern auch in eine plurale Gesellschaft hineinwirken?
Während Menschen allein um ihre Angehörigen trauern, werden die Toten in den Nachrichten zu kalten Statistiken. Der Erfurter Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann konstatiert die Gefahr der Abstumpfung: „Wir haben uns daran gewöhnt, jeden Tag von einer großen Zahl neuer Toter zu hören. Das wird dann zu einem reinen Zahlenspiel. Es gehört aber zur Humanität, auch an die Menschen hinter diesen Zahlen zu denken, und das ist eine Aufgabe für Christen: diesen humanen Grundzug in der Gesellschaft zu pflegen.“
Es gibt bislang kaum Trauerfeiern, bei denen die Gesellschaft als Ganze innehalten, sich neu als Gemeinschaft verstehen und erfahren kann. Auch für die einsam Trauernden fehlt etwas, wenn es keinen öffentlichen Ort für ihre Trauer gibt. Beispielhaft sind der interreligiöse Gottesdienst im Stephansdom nach dem Terroranschlag im November 2020 oder der Trauergottesdienst im Kölner Dom nach dem Germanwings-Flugzeugabsturz im April 2014. Der große Unterschied zu unserer jetzigen Situation: Die Katastrophe ist geschehen, man kann darauf zurückblicken. Das ist derzeit (noch) nicht möglich.
Eine vielbeachtete Form war der Urbi-et-orbi-Segen des Papstes am 27. März 2020 auf dem menschenleeren Petersplatz: Der halbdunkle Abend, das regnerische Wetter, der Papst fast allein, und dann gibt es einen einfachen Wortgottesdienst: dieser Moment auf dem Platz, das Hören, das Sprechen, das Solidarisch-Sein. Das sind schlichte Formen, die Vorbild sein können.
Entscheidend ist, dass die Kirche und damit die Gläubigen nah bei den Leidenden und Trauernden sind, dass sie einen Gott ansprechen, vor den sie mit ihrem Leid und ihrer Klage treten können. In den Psalmen finden wir jahrtausendealte Texte, die uns eine Sprache für Klage zur Verfügung stellen, ohne gleich alles erklären zu wollen. Es geht nicht um eine Trauer, in der viel begründet, viel gedeutet wird. In der jetzigen Situation sind Orte der Stille und Gebetsangebote erforderlich. Und das Wichtigste: Den Menschen einfach zuhören – das gehört nämlich auch zum Klagen: dass jemand mein Klagen und das, was mich bedrückt, hört.
Der Mensch, der vor Gott klagt, darf hoffen, dass von Gott her anderes verheißen ist – biblisch gesprochen: Leben in Fülle.
Mag. Erhard Lesacher, THEOLOGISCHE KURSE
Erstveröffentlichung: https://www.meinekirchenzeitung.at/niederoesterreich-kirche-bunt/c-glaube/trauer-um-corona-tote_a19546