Das Kreuz Jesu – Mitte des christlichen Glaubens und zugleich Skandal: Braucht Gott Opfer? Fordert Gott das Blut seines Sohnes? Bereits Friedrich Nietzsche erkannte hellsichtig: „Gott gab seinen Sohn zur Vergebung der Sünden, als Opfer. Wie war es mit Einem Male zu Ende mit dem Evangelium! Das Schuldopfer, … das Opfer des Unschuldigen für die Sünden der Schuldigen! Welches schauderhafte Heidenthum!“ (Der Antichrist, 1895) Nietzsche erkannte den Widerspruch zwischen dem „Evangelium“ vom bedingungslosen Verzeihen, das Jesus lebte, und der scheinbaren Notwendigkeit eines blutigen Opfers am Kreuz, um Gott wieder gnädig zu stimmen.
Schon für die Jüngerinnen und Jünger war der schändliche Tod Jesu ein massives Problem. Jemand, der am Holz hängt, galt nach dem Alten Testament als von Gott verflucht. Der Kreuzestod war nichts anderes als die öffentliche Widerlegung des Wirkens Jesu. Mit Jesus ist am Kreuz auch seine Gottesbotschaft gestorben. Es wäre „logisch“ gewesen: Über Jesus braucht man kein Wort mehr zu verlieren. Aber das völlig Unlogische ist eingetreten: Die Jüngerinnen und Jünger haben Jesus freimütig als den Auferweckten und lebendig Gegenwärtigen bezeugt.
Aber was tun mit dem Skandal des Kreuzes? Die ersten Gemeinden haben versucht, das Scheitern Jesu von der Heiligen Schrift (dem Alten Testament) her zu deuten. Im Neuen Testament finden sich an die 16 unterschiedliche Deutungsversuche: vom verfolgten Propheten über den leidenden Gerechten bis zum Sündenbock, der die Schuld des Volkes in die Wüste trägt. Diesen neutestamentlichen Deutungsversuchen folgten unzählige von den Anfängen der Theologiegeschichte bis heute. Es gibt also nicht die eine, richtige Deutung – vielmehr lädt die biblische Vielfalt zu immer neuen, zeitgemäßen Deutungen ein.
Im Folgenden ein Versuch: Jesus hat das voraussetzungslose Verzeihen Gottes verkündet und gelebt. In seinem Leben hat sich die bedingungslose Liebe des Vaters ereignet und offenbart. Angesichts ihrer Zurückweisung ist Jesus seiner Sendung treu geblieben. Auch als er zum Opfer gemacht wurde, hielt er an seiner Liebe zum Vater und zu den Menschen fest – trotz Gottverlassenheit und Vernichtung. Er lebte am Kreuz die äußerste Feindesliebe. Darin ereignete und offenbarte sich die Feindesliebe Gottes. Von der Auferstehung her wir deutlich: Gott hat „auf krummen Zeilen gerade geschrieben“: Gott macht das gewalttätige NEIN der Menschen zu seinem Sohn zum bedingungslosen JA zu allen Menschen – gerade zu den Sündern und zu seinen „Feinden“.
Mag. Erhard LESACHER, THEOLOGISCHE KURSE
Erstveröffentlichung: https://www.erzdioezese-wien.at/site/glaubenfeiern/christ/unserglaube/glaubenswissen/article/92645.html