Lieber? Ewiger? Allmächtiger? Gott! Zur liturgischen Gottesanrede

Namen sind nicht Schall und Rauch, sie sind Inbegriff des Personseins. Bei der Namenswahl für ein Kind bedenken wir die Bedeutung dessen, was wir ihm bei seinem Eintritt in die Welt zusprechen und für sein Leben unverlierbar mitgeben wollen. Gelingt die Identifikation mit dem uns von anderen gegebenen Namen nicht oder findet ein radikaler Bruch im Leben statt, werden Namen abgelegt und andere, neue gewählt und angenommen. Ob befreiend oder schmerzlich, ist dies ein tiefer Eingriff in die Persönlichkeit …

Wie heißt Gott?

Gott empfängt seinen Namen nicht, er IST sein Name. Er offenbart darin, wer er – der ganz Andere und ganz Nahe – von sich her für die Menschen sein will und woran er sich erkennen lässt. Von Mose nach seinem Namen gefragt, um sein Auftreten vor dem Pharao zu legitimieren, nennt Gott sich vor den Ägyptern: der „Ich bin“; den Israeliten gegenüber aber gibt er sich als „Der HERR, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs“ zu erkennen und fährt fort „Das ist mein Name für immer und so wird man mich anrufen von Geschlecht zu Geschlecht.“ (Ex 3,14f). Damit wird sowohl die Unverfügbarkeit Gottes gewahrt als auch seine Bezogenheit auf Israel deutlich: Ich bin/werde sein – mit und für euch. Nicht anders lautet der Name des vom Propheten verheißenen Messias „Immanuel, das heißt: Gott mit uns“ (Jes 7,14 in Mt 1,23): Diesen Namen bewahrheitet Gott im „Für-Sein“ (in der Proexistenz) Jesu Christi, der mit und für uns Menschen gelebt und gelitten hat, für uns gestorben und auferstanden ist.

Der unnennbare Gott

Der Name Gottes – er selbst – ist seine ebenso unzugängliche wie verlässliche Gegenwart. Die Präsenz des Heiligen erweckt Ehrfurcht, weshalb der Gottesname im Judentum zwar nicht ausgesprochen wird, Gott aber dennoch anrufbar bleibt. Dieser Tradition der apophatischen („sprachlosen“) Gottesrede und -anrede folgt auf eigene Weise die Liturgie der Ostkirche. Im eucharistischen Hochgebet (in der Anaphora) der Göttlichen Liturgie des heiligen Johannes Chrysostomos spricht sie Gott an als den, dem keine Zuschreibung durch Menschen jemals genügen kann: „Denn du bist der unaussprechliche, unergründliche, unsichtbare, unbegreifliche Gott …“

Auch die diskret-nüchterne römische Liturgie verzichtet in der Gottesanrede häufig auf allzu wissende Attributionen. Ihre lateinischen Orationen adressieren oftmals schlicht Deus – Gott! Damit ist alles gesagt. Jede Eigenschaft, ob allmächtig, ewig, gut, gerecht oder gar lieb sagt demgegenüber nicht mehr, sondern etwas Bestimmtes und somit weniger. Sparsame Worte respektieren das Anderssein Gottes und verschleiern nicht die Differenz zwischen seiner transzendenten heiligen Gegenwart und unserem Erkennen.

Gott, der du dich an uns erwiesen hast

Diese liturgische Gebetsanrede Gottes folgt zugleich einer biblischen Tradition, insbesondere des Ersten Testaments: Sie weiß nicht so sehr, wie Gott an und für sich ist, sondern erkennt und nennt ihn Gott, weil er an seinem und für sein Volk handelt. Wie das in Ex 3,14 zugesagte Da-Sein („Ich bin/werde sein“) ist Gottes Wirken konkret geschichtlich erfahrbar ohne jemals zu enden. So proklamiert (wortgetreu aus dem Lateinischen übersetzt) die Tagesmesse von Weihnachten: „Gott, der – Deus, qui … condidisti et … reformasti – du den Menschen in seiner Würde wunderbar erschaffen und noch wunderbarer erneuert hast, lass uns, wir bitten dich, teilnehmen an der Gottheit dessen, der unsere Menschennatur annehmen wollte.“ Oder eine traditionelle Oration der Osternacht: „Gott, der – Deus qui nos instruis – du uns zur Feier der österlichen Heilswirklichkeit durch die Seiten beider Testamente bereitest: gib uns, dein Erbarmen zu verstehen, damit aus dem Empfang/Verstehen der gegenwärtigen Gaben die Erwartung der künftigen stark/zuverlässig sei.“

Der Name Gottes ist lebendige Beziehung

Gott, der du den Menschen erschaffen und erneuert hast; der du uns bereitest; der du uns als Kinder des Lichtes wolltest; der du die Welt erhoben hast; der du deine Allmacht im Schonen und Erbarmen zeigst; der du Irrenden das Licht zeigst; der du Versöhnung schaffst; der du … – Erst die Vergewisserung der Gläubigen über das vorgängige, die Menschen von Anbeginn begleitende, sie fordernde, befreiende, tröstende, richtende, rettende Wirken Gottes begründet ihr Beten im Hier und Jetzt. Mehr als jeder Superlativ, der, statisch, Gott doch nicht zu fassen vermag, bezieht eine solche Anrufung die Betenden in die göttliche Wirklichkeit ein. Wer Gott bei diesem „Namen“ ruft, darf bangen und hoffen von ihm ergriffen zu werden.

DDr. Ingrid Fischer, Theologische Kurse


Erstveröffentlichung: https://www.meinekirchenzeitung.at/niederoesterreich-kirche-bunt/c-glaube/lieber-ewiger-allmaechtiger-gott_a23941

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