Gott ohne Namen: ein Versprechen

„Si comprehendis non est Deus. / Wenn du es verstanden hast, so ist es nicht Gott.“ Augustinus wusste, dass man den biblischen Gott nicht einfach mit der Vernunft verstehen oder bestimmen kann. Und Kinder wissen, dass man jemanden „in der Hand hat“, wenn man seinen Namen kennt. „Ich verrate dir meinen Namen nicht,“ sagen sie daher manchmal mit großem Ernst. Auch die Bibel selbst vermeidet es, den Gott, den sie in ihren Erzählungen beschreibt, einfachhin zu identifizieren. Gott hat in der Bibel viele Namen, männliche und weibliche, um damit jeweils etwas Bestimmtes zum Ausdruck zu bringen. Durch diese Vielfalt wird vermieden, Gott anhand eines einzelnen Namens bestimmen oder „kennen“ zu können. In den entscheidenden Momenten der Bibel erweist sich Gott aber als der Unsagbare. So etwa offenbart sich Gott dem Propheten Elija auf dem Berg „im Säuseln des Windes“, und dieser kann nur seinen Rücken sehen, nachdem Gott „vorübergegangen ist“. Man kann Gott offensichtlich erst nachträglich erkennen und nicht in einem donnernden Spektakel, das gerade abläuft. Und wenn sich in der Exoduserzählung Gott dem Mose im Dornbusch offenbart (Ex 3,14), dann macht er dies nicht wie „das kleine Ich-bin-ich“ aus dem bekannten Kinderbuch von Mira Lobe, um damit seine Individualität und Eigenständigkeit zum Ausdruck zu bringen, auch nicht um sich philosophisch als das große Eine bestimmen zu lassen, sondern vielmehr um den Blick von seinem Namen wegzuwenden: „Ich bin der, der ich sein werde / als der ich mich erweisen werde“, müsste man den Satz, der hinter dem Gottesnamen JHWH steht, etwas kompliziert übersetzen. Die revidierte Einheitsübersetzung fügt bei Ex 3,14 die Fussnote hinzu, dass der hebräische Text an dieser Stelle die Zeitform des Präsens mit der des Futur verknüpft. So als ob Gott sagen würde: „Ich bin jetzt schon als wer ich mich künftig für euch erweisen werde.“ Ein solcher Name ist also eher ein Versprechen, keine simple Bestimmung oder Identifizierung. Doch wieso eigentlich?

In einem Versprechen geht es um mehr als um die Formulierung eines zeitunabhängigen Wissens oder einer bloß momentanen Erfahrung. Das Versprechen stellt eine Beziehung her. Im Versprechen binde ich mich an meine Aussage und bin ab nun der- oder diejenige, die genau dies versprochen hat. Damit wird nicht eine Information vermittelt, sondern eine Situation verändert. Das Versprochene spielt schon eine Rolle auch wenn seine Erfüllung noch aussteht. Und ich bin das Bindeglied zwischen der ausstehenden Zukunft und ihrer Erfahrbarkeit schon hier-und-jetzt.

Im Judentum wird der Name Gottes daher nicht ausgesprochen sondern stattdessen der Beziehungsbegriff „adonaj / Herr“. Damit auch im Text selbst das Tetragramms JHWH nicht wie ein Name funktioniert werden zwischen die Konsonanten von JHWH die Vokale dieses „adonaj“ geschrieben und das Wort damit letztlich unleserlich gemacht. Auch im Tempel, in dem „der Name Gottes wohnt“ wird jede Identifizierung vermieden und Gott durch die Leere des Allerheiligsten „repräsentiert“. Das sind keine beliebigen Spielereien.

Wenn der Name Gottes also nicht wie eine Bestimmung funktioniert, mit der man etwas weiß oder objektiv „in der Hand hat“, so eröffnet sich ein anderer Blick auf das, was mit dem unsagbaren Namen und mit der leeren Stelle der Repräsentation „gesagt“ wird. Wenn wir Christinnen und Christen von der im Neuen Testament bezeugten Begegnung mit Jesus von Nazaret her von Gott sprechen, so verwenden auch wir keinen Namen, der etwas „weiß“, sondern der etwas „bekennt“. Wenn Paulus von „Christus Jesus“ spricht, so stellt das griechische „christos“ (hebräisch „maschiach / Messias“) einen Titel und somit ein Bekenntnis dar: Ist uns in Jesus von Nazaret nicht jener begegnet, den wir von Gott her als den „Messias“ erwartet haben? Christ*innen gehen das Wagnis ein so zu sprechen und die Welt in diesem Sinn neu zu sehen: Hat die in der biblischen Gotteserfahrung verheißene Zukunft nicht bereits Gestalt gewonnen? Christinnen und Christen wären diejenigen, die hier-und-jetzt zeigen, dass die messianisch verheißene Zukunft schon jetzt Relevanz hat. Die Gemeinschaft derer, die so sprechen, nennt man ek-klesia, die „Heraus-gerufenen“. Ihr Bekenntnis verändert ihr Handeln und dieses politisch-gesellschaftlich wirksame Tun verändert die Welt. Man erkennt aber auch daran, wann das Versprechen leer geworden ist. Die ekklesia tou Theou, die Kirche Gottes findet dort statt, wo das Versprechen die Wirklichkeit verändert. Nirgends sonst.

Dr. Peter Zeillinger, THEOLOGISCHE KURSE


Erstveröffentlichung: Kirche bunt, 21/2021, 15.

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