„Als mitternächtliches Schweigen das All umfing…“ Marginalien zur Feier von Weihnachten und Epiphanie

2020 herrschte um diese Zeit ein Lockdown für alle mit strengen Beschränkungen für gottesdienstliche, gesellige und familiäre Zusammenkünfte, dieser Tage ein Déjà-vu … Weihnachten wurde zwar nicht abgesagt, die Erfahrung der liturgischen gut zweiwöchigen Weihnachtszeit mit ihren Texten und Gesängen aber blieb dünn. Wie wird es in wenigen Wochen sein? Grund genug für einige Momente der Besinnung auf ihre vermutlich auch heuer verhalten erklingende Botschaft.

Von Ostern her gelesen

Mit dem mysterium paschale steht und fällt der christliche Glaube (1 Kor 15,17) und so ist es für das Zweite Vatikanische Konzil das Herzstück jedes sakramental-liturgischen Feierns (SC 6 und 61). Als nachösterliche Bekenntnisse niedergeschrieben, verkünden die vier kanonisch gewordenen Evangelien den Gekreuzigten und Auferstandenen in je eigener Weise als den gottgesandten Messias „von Anfang an“ und greifen dafür auf die Berufungserfahrung Jesu am Jordan (Mk) oder die Präexistenz des Logos (Joh) zurück. Zwei Verfasser setzen den heilsnotwendigen Anfang des Erlösungsgeschehens mit Jesu Geburt ins irdische Leben an: der eine mit der verheißungsgemäßen Abstammung Jesu als davidischem Messias für Israel und zugleich als Sohn Abrahams als des Vaters aller Völker (Mt); der andere mit den außergewöhnlichen Geburten Jesu und zuvor seines Vorläufers (Lk). Doch erst im 4. Jahrhundert bringen diese Herkunftserzählungen mit Weihnachten und Epiphanie zwei Geburtsfeste hervor, in denen freilich nicht die irdische Biografie Jesu, sondern seine verhüllte Gottheit erkannt und besungen wird; nicht allein um seinetwillen, sondern um des Menschen und der Schöpfung willen, um Israels und der Völker willen.

Abstieg in die Krippe, ans Kreuz, in die Scheol

„Er, der reich war, wurde euretwegen arm.“ (2 Kor 8,9; vgl. Phil 2,6f) Die Bewegung eines dramatischen Abstiegs verbindet Ostern und Weihnachten: Der Descensus des Gekreuzigten in das Reich des Todes, um diesen „letzten Feind“ zu entmachten (vgl. 1 Kor 15,26), hat den Abstieg des göttlichen Logos in die geschaffene Welt, die „sein Eigentum“ ist (vgl. Joh 1,11), zur Voraussetzung. Sein Kommen geschieht in die Dunkelheit des Erdenlebens hinein unter dem Zuspruch des Vaters, „Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt“ (Ps 2,7), als dem Introitus der Weihnacht. So wird dieser Psalm in seiner liturgischen Verwendung aufs Engste mit Krippe und Kreuz verbunden: Im Stundengebet deutet er am frühen Morgen des Karfreitags mit der Antiphon „Die Könige der Erde stehen auf, die Großen haben sich verbündet gegen den Herrn und seinen Gesalbten“ (V. 2) den Todesbeschluss über Jesus – dabei ist mitzuhören, dass schon dem neugeborenen Sohn dieses Schicksal zugedacht war (vgl. Mt 2,16). Der sendungschristologisch gefüllte Gradualpsalm der Christmette, in dem Gott selbst die Sohnschaft des Neugeborenen offenbart – Tecum principum in die virtutis tuae … ante luciferum genui te (Ps 110,3) „Dein ist die Herrschaft am Tag deiner Macht: wenn du erscheinst in heiligem Schmuck; ich habe dich gezeugt noch vor dem Morgenstern“ – interpretiert in christlicher Lesart zugleich die Messianität des gekreuzigten und auferweckten Menschensohnes, Dixit Dominus Domino meo: Sede a dextris meis …: „Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten“, in der Vesper am Ostertag, ebenso vom ersten Sonntag im Advent bis zu Epiphanie und an jedem Sonntag.

Anthropologie: Der mit Christus erhöhte Mensch

„Dein göttliches Wort wurde ein sterblicher Mensch, und wir sterbliche Menschen empfan­gen in Christus dein göttliches Leben.“ Mit diesen biblisch inspirierten Worten (vgl. 2 Kor 8,9; Gal 4,4) umschreibt die dritte Präfation von Weih­nachten den Inhalt des Weihnachtsfestes lateinischer Tradition: Ein wundersamer, ja paradoxer Tausch findet statt, ein heilig-heilender Tauschhandel (commer­cium), bei dem die reich werden, die nicht bezahlen können!

Vielleicht schon im Jahr 336 hat die weströmische Kirche am 25. Dezember die Geburt Jesu Christi gefeiert, welche die Welt heiligt (consecratio mundi) und den Menschen erhöht: „Erkenne, o Christ, deine Würde! Kehre nicht, nachdem du der göttlichen Natur teilhaftig geworden … zur alten Niedrig­keit zurück! Denke daran, welchen Hauptes, welchen Leibes Glied du bist! … Unterwirf dich nicht wieder der Knechtschaft Satans, denn der Preis für deine Freiheit ist das Blut Christi.“ So legte Leo d. Gr. († 461) zu Weihnachten das Myste­rium von der Mensch­werdung des göttlichen Logos aus. Dieses ist also kein anderes als das in der Taufe geschenk­te Mysterium der Erlösung: „Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden.“ (2 Kor 5,21) O admirabile commercium – „O wunderbarer Tausch“!

In Jerusalem wiederum beging man die Geburt Christi als seine Epiphanie (gr.: Erschei­nung) in der Welt „passend zu Zeit und Ort“: Am 5. Jänner nachmittags versammelten sich die Gläubigen zunächst zu einem Wortgot­tes­­­dienst auf freiem Feld, um die lukanische Perikope von der Verehrung des Kindes durch die Hirten zu hören (Lk 2,8–20); danach zog man in die Krypta der Ge­burts­basilika, wo das Evange­lium von der Geburt Jesu gelesen wurde (Mt 1,18–25). Die ausge­dehn­te Nachtfeier von 5. auf 6. Jänner schließlich war von ähnlichen Lesungen geprägt wie die Paschavigil: man hörte die Schöpfungs­erzählung, von der Rettung am Schilfmeer und das Wunder der Unversehrtheit der drei Jünglinge im Feuer­ofen. In der Eucharistiefeier in der Jerusalemer Bischofskirche (Grabes­kirche) am 6. Jänner stand dann nochmals die matthäi­sche Geburts­erzählung im Mittel­punkt.

Universalität: Kirche aus allen Völkern

Unter dem Einfluss der römischen Liturgie, die am 25. Dezember das Kommen des Wortes Gottes „ins Fleisch“ (Inkarnation; vgl. Joh 1,14) beging, wanderte im 6. Jh. das Thema „Geburt“ auch in der ostkirchlichen Liturgie auf diesen Tag, der bis dahin dem Gedächtnis der Patriarchen Jakob und David gewidmet war. Der 6. Jänner, im Osten zuvor Geburts- nun Tauffest Jesu, zog als Festinhalt also (nur) eines jener drei Wunder an sich, durch die sich die Gottheit Jesu vor der Welt manifestiert: seine Taufe im Jordan (Mk 1,9–11 parr), die Anbetung des Kindes durch die Sternkundigen (Mt 2,1–12) und Jesu erstes „Zeichen“ bei der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1–12).

In der römischen Liturgie hat sich von diesen (in Norditalien greifbaren) Tribus miraculis – außer in der Tagzeitenliturgie: „Durch drei Wunder ist dieser heilige Tag, den wir begehen, ausgezeichnet: heute führte der Stern die Weisen zur Krippe; heute wurde Wasser zu Wein bei der Hochzeit; heute wollte Christus von Johannes im Jordan getauft werden, um uns zu retten“ – nur das „Dreikönigsfest“ durchgesetzt. Diese popu­läre theologiearme Variante der Anbe­tung des Messias durch die Magier lässt leicht vergessen, dass diese Weisen aus dem Osten die Vorfahren im Glauben der meisten Christ*innen sind: Wie sie stammen heute wohl die wenigsten Getauften aus dem Gottesvolk Israel und sind deshalb angewiesen auf das „Licht, das die Heiden erleuchtet“ (Lk 2,32).

Heilsnächte: Befreit vom Tod-Feind, von stampfenden Stiefeln und blutigen Mänteln

Die Erfahrung jener (Todes-)Nacht, in der die Todesherrschaft endet, ist der Pascha-Vigil eingeschrieben, in der die Gläubigen das zarte Lebenslicht Christi empfangen; ebenso inszeniert die Christmette die Dunkelheit einer Welt, in der Viele nicht die Gutheit der Schöpfung, sondern Heillosigkeit erfahren (müssen). Als dann das ersehnte „Licht der Menschen“ darin einbricht, hat die Finsternis es nicht „erfasst“ (vgl. Joh 1,4f) – hat sie es nicht erkannt, nicht begriffen oder sich seiner nicht bemächtigen können …? Geboren ist der Zuspruch (logos) Gottes als Kind, angewiesen und wehrlos und wurde „gekreuzigt, gestorben und begraben“, abgewiesen und wehrlos. Derselbe ist freilich der schöpferische Logos, der „das Leben der Menschen“ ist, der sie bis auf ihrer Seelen Grund durchdringt, der alles bloßlegt und in sein Licht stellt, der die Geister scheidet und „richtet über die Regungen und Gedanken des Herzens“ (vgl. Hebr 4,12f; Eph 5,13). Derselbe ist der „Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst“, der Gewalt, Willkür, Blut und Tränen ein Ende setzen wird, wenn „jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, … verbrannt und vom Feuer verzehrt“ wird (Jes 9,5.4). Wen also in der Christmette nur die Geburt des süßen Kindes rührt, der blickt nicht tief genug. Denn derselbe ist es, von dem der Introitus Dum medium silentium am 2. Sonntag nach Weihnachten singt: „Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht in ihrem Lauf bis zur Mitte gelangt war, da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab“, wobei der liturgische Text die Fortsetzung „als harter Krieger mitten in das Land des Verderbens“ (Weish 18,14f), die das Herabspringen des Logos mit dem YHWHs in der Nacht des Exodus identifiziert, zwar nicht zitiert, aber meint. Er kommt ins „Land des Verderbens“ – weltweit –, um auch heute die Herrschaft des Menschen über den Menschen zu beenden. Auf ihm ruht die Hoffnung aller, deren Nächte einsam, kalt, voll Schmerz und tödlich finster sind. Christus, der Retter ist da – auf dass der Mensch endlich Mensch werde nach dem Bild und Gleichnis Gottes.

DDr. Ingrid Fischer, THEOLOGISCHE KURSE


Erstveröffentlichung: CiG 52 (2021)

Englische Version: https://www.praytellblog.com/index.php/2022/12/21/while-gentle-silence-enveloped-all-things/

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