Trinket alle daraus!

Durch Corona geriet die Kelchkommunion weit ins Hintertreffen. Wie Gemeinden (wieder) neu für sie gewonnen werden können, zeigen ermutigende Beispiele aus der Praxis.

Kaum ein autoritatives Wort Jesu hat bis heute in der Tradition und Praxis der katholischen Kirche weniger Beachtung und Gehorsam gefunden als seine Weisung, „alle“ mögen aus dem eucharistischen Kelch trinken, der „Teilhabe am Blut Christi“ schenkt (1 Kor 10,16). Zwar wurde und wird auch sein „Zwillingswort“ nicht immer stiftungsgemäß vollzogen, das für die Gläubigen das Nehmen und Essen von gebrochenem Brot vorsieht. Doch reicht man bis heute den Leib Christi „materialiter“ prinzipiell allen (zugelassenen) Christinnen und Christen zumindest einige Male im Leben. Die im Mittelalter auf das symbolische Minimum reduzierte eucharistische Praxis, nur einmal im Jahr die Kommunion in physischer Form (Hostie) zu empfangen (ansonsten durch die anbetende „Schaukommunion“ ersetzt), erfuhr erst durch die schon lange vorher geforderte, aber zuerst von den Reformatoren konsequent umgesetzte Wiedereinführung des „Laienkelches“ eine Annäherung an ihren ursprünglichen Vollzug als Mahl – allerdings aus antireformatorischen Gründen nicht mehr in der römischen Kirche.

All dies könnte Geschichte sein, wäre da nicht die Corona-Pandemie gewesen. Denn bereits im Zuge der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde die Kommunion unter beiden Gestalten „sowohl Klerikern und Ordensleuten wie auch Laien“ zunächst ausnahmsweise und in bestimmten Situationen gestattet (SC 55). In liturgiebewegten Gemeinden hat sie sich nach und nach auch an „gewöhnlichen“ Sonntagen etablieren können. Gemäß der derzeit geltenden Ordnung kann der Diözesanbischof die allgemeine Kelchkommunion „erlauben, sooft dies dem Priester, dem als zuständigem Hirten die Gemeinschaft anvertraut ist, angebracht erscheint“ (Grundordnung des Römischen Messbuchs [GORM] 283). Also de facto immer – gute Unterweisung und ausgeschlossene Verunehrung des Sakraments vorausgesetzt. Dennoch ist „[d]ie hinsichtlich der Zeichenhaftigkeit vollere Form“ (GORM 281) der communio sub utraque specie keineswegs selbstverständlich: Immer noch ist sie vielen ungewohnt, gilt als dogmatisch ‚unnötig‘ (Konzil von Trient: Decretum de communione eucharistica, 1562) und ist mit hygienischen Bedenken sowie mit Befürchtungen belastet, die Kommunion würde dann „zu lange dauern“. Diesen Einwänden sind gute Argumente und Erfahrungen aus guter Praxis entgegenzuhalten.

Suchbewegungen in den Gemeinden

Die Covid-19-Pandemie hat diese Praxis, wo es sie gab, freilich für drei lange Jahre beendet. Seit geraumer Zeit suchen betroffene Gemeinden nun nach Möglichkeiten, sie wiederzugewinnen, und haben dabei unter anderem mit kleinen Einzelkelchen, wie sie vor allem aus den protestantischen Kirchen bekannt sind, oder dem Eintauchen der Hostie experimentiert. Beides hat Nachteile und kann das Trinken aus dem einen Kelch nicht ersetzen: Das Eintauchen der Hostie darf rite et recte nicht selbst vollzogen werden, sondern muss durch den Priester geschehen, verbindet sich also vorschriftsgemäß mit der Mundkommunion (GORM 287). Durch Corona ohnehin „ausgesetzt“, findet diese Form im deutschsprachigen Raum nach der verbreiteten Rückkehr zur Handkommunion freilich wenig Akzeptanz, heißt es doch: „Nehmt und esst.“ Einzelkelche wiederum verlangen eine aufwendige Reinigung – wer sumiert allenfalls darin verbliebene Reste? Sie tragen zudem von ihrem Symbolgehalt ebenso wenig zur Erfahrbarkeit von communio bei wie leider auch die häufigste Form der individuellen „Ausspeisung“ der Gläubigen hintereinander in Zweierreihen.

Um diese communio freilich geht es, die als Folge der Geistsendung auf die zu genießenden Gaben im eucharistischen Hochgebet epikletisch für die Gläubigen erbeten wird: „Schenke uns Anteil an Christi Leib und Blut und lass uns eins werden im Heiligen Geist“ (Zweites Hochgebet). Ob nun mit diesen oder in den anderen approbierten Hochgebeten ähnlichen Worten – die Bitte um Geisterfüllung der Empfangenden ist dieselbe. Damit dies nicht fromme, aber leere Worte bleiben, sind sowohl die Weisung Jesu („Nehmt und esst/trinkt alle“) als auch die paulinische Mahnung zu beherzigen: „Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi?“ (1 Kor 10,16).

Aktuelle Beispiele guter Praxis

Die Feiernden darauf aufmerksam zu machen und aktiv dazu einzuladen, kann sich bewähren, wie Beispiele aus der jüngsten Praxis zeigen. Zum Lehr- und Lerngeschehen in der theologischen Erwachsenenbildung bei den Wiener Theologischen Kursen gehört auch die mehrmals jährliche Feier der Eucharistie (sowie der Tagzeitenliturgie). Dabei kann ein Raum für gottesdienstliche Erfahrung eröffnet werden, wie sie Gläubigen in ihren Gemeinden sonst nicht immer zugänglich ist, etwa die Kommunion unter beiden Gestalten. Anlässlich der diesjährigen Zeugnisverleihung mit Absolventinnen und Absolventen des zweijährigen Theologischen Kurses im Frühjahr 2023 sowie wenige Wochen später bei der Eucharistiefeier mit den Kursgruppen am Ende des Studienjahres wurde der Versammlung vor Feierbeginn erstmals wieder angekündigt, dass um der symbolisch „vollkommenen“ Gestalt willen eine gebrochene Brothostie (und bei Bedarf weitere geteilte größere Oblatenhostien) sowie ein Kelch mit Wein gereicht würden, aus dem, sofern gewünscht, getrunken (aber nicht darin eingetaucht) werden solle.

Für eine solche Praxis kann Verständnis geweckt werden: Zum einen vermag der Hinweis auf die sorgfältige Reinigung des (weitergedrehten) Kelchrandes unter Verwendung des ganzen Kelchtuchs (statt des Abtupfens der immer selben Stelle mit immer demselben Stoffstück) erfahrungsgemäß die hygienischen Bedenken vieler Kommunikantinnen und Kommunikanten weitgehend zu zerstreuen. Zum anderen kann plausibel gemacht werden, dass für das Eintauchen der Hostie der Kelch gut gefüllt sein müsse – eine Menge, die abschließend von einer Person zu sumieren wäre, nachdem viele (auch nicht keimfreie) Hände in den Kelch gefasst und dabei nicht selten den Kelchrand gestreift haben. Wer trotz dieser Hinweise immer noch Vorbehalte hat, verzichtet auf die Kelchkommunion.

In beiden genannten Gottesdiensten wurde die Kelchkommunion problemlos angenommen. Die Feiernden reagierten danach positiv und waren ausdrücklich dankbar für die vorausgehenden einladenden Worte. Wie vor der Pandemie blieb auch diesmal kein Rest zu sumieren – beim ersten noch „versuchsweisen“ Angebot wurde die Nachfrage leider noch unterschätzt und zu wenig Wein konsekriert, beim zweiten Mal das Quantum aber bereits richtig, das heißt mit dem Zuspruch nahezu aller Anwesenden, „berechnet“. Mit Rücksicht auf möglicherweise als vulnerabel geltende Priester und mit ihrem Einverständnis kann die Akolythin oder der Akolyth den Kelch selbst purifizieren.

Steigende Akzeptanz nach der Pandemie

Auch aus der gemeindlichen Praxis ist Erfreuliches zu berichten: In etlichen Wiener Gemeinden ist die Kelchkommunion seit Jahrzehnten gut eingeführt und mancherorts sogar in allen Eucharistiefeiern werktags wie sonn- und festtags selbstverständlich. Das pandemiebedingte Verbot im Frühjahr 2020 hat diese Gemeinden entsprechend hart getroffen und viele Gespräche kreisten in den folgenden Monaten und Jahren um die Befürchtung, „den Kelch“ durch die notwendige verordnete „Entwöhnung“ auf Dauer zu verlieren. Verschiedene Alternativen wurden immer wieder diskutiert, ausprobiert und (aus oben genannten Gründen) meist doch verworfen.

Nach dem Wegfall aller beschränkenden Verordnungen im Frühsommer dieses Jahres in Österreich kam man deshalb in einigen Pfarren überein, das Angebot der Kelchkommunion einfach wieder aufzunehmen – mit dem gebotenen Respekt vor der selbstverständlich immer auch möglichen Enthaltung. Wie auf Nachfrage zu hören ist, steigt die Akzeptanz, und so gehört vorerst in den damit von früher vertrauten Gemeinden erfreulicherweise der Empfang des Blutes Christi – gemäß seinem Vermächtnis „Trinkt alle daraus“ – allmählich wieder zur gängigen Feierkultur. Möge dies als Ermutigung für alle vorsichtigen oder vielleicht „im Trinken“ noch ungeübten Feiergemeinden verstanden werden!

Mehr Wille zu sakramentaler Sinnlichkeit

Warum ist das so wichtig, wo doch auch die Brotgestalt enthält, „was heilsnotwendig ist“, und die Kommunion sub una specie weniger kompliziert und angeblich viel zügiger vonstattengeht? Letzteres stimmt im Übrigen nicht, wenn bei jeder Brotschale auch zwei Kelche gereicht werden. Akolythinnen und Akolythen dürfte es genügend geben. Doch davon abgesehen wäre die Symbolik der eucharistischen Gestalten in ihrer sinnlich-ästhetischen Qualität dringend (neu) zu erschließen – zumal sich gerade die liturgischen Symbolhandlungen, geschrumpft und bis zur Unkenntlichkeit stilisiert, in die buchstäbliche „Bedeutungslosigkeit“ verloren haben. Es genügt nicht, diesen Verfall (wie etwa prominent im Apostolischen Schreiben Desiderio desideravi von Papst Franziskus) zu beklagen. Wegen des Ernstes ihrer Konsequenz – die Wandlung der Gläubigen – bedarf es des Willens zur sakramentalen Sinnlichkeit: Ein Bissen Brot und ein Schluck Wein gewähren, dass „sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Das tägliche Lebensmittel und das nicht alltägliche, festliche Genussmittel bringen das Not-wendige und das Über-flüssige, die das Himmelreich so treffend „beschreiben“, zur „Verkostung“. Wer wollte auf eine der beiden Dimensionen verzichten oder dürfte sie anderen vorenthalten? Im Empfang des Leibes und Blutes Christi bejaht, wer glaubt, seine Gleichgestaltung mit ihm („Amen“): „durch ihn und mit ihm und in ihm“ selbst nahrhaft, wohlschmeckend und sättigend für andere zu werden und einander zu beleben, zu erfrischen und zu inspirieren.

„Kostet und seht, wie gut der Herr ist.“ – Wie oft hören wir diese Einladung zum Mahl, die auch dem Kelch gilt, und wie selbstverständlich danken wir im Gebet nach der Kommunion für den Empfang beider Gaben. In einer Zeit, in der liturgisch-rituelles Handeln kritisch auf dem Prüfstand steht, liegt es nahe, diesen Worten in der Tat Glaubwürdigkeit zu verleihen.

DDr. Ingrid Fischer, THEOLOGISCHE KURSE


Quelle: Gottesdienst 2023, Heft 19 vom 25. September 2023 , S. 209-211 .

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