Ostern ist nicht vorüber… Die Ostertücher im Schottenstift

Den wievielten Tag des fünfzigtägigen Ostersonntags 2024 haben wir heute? Ist uns bewusst, dass diese Zeit uns sieben mal sieben Tage und noch einen dazu gibt, um unser österliches Sein zu verkosten, zu erproben, anzueignen?

Wieviel Engagement und Energie stecken Jahr für Jahr in der Gestaltung der vorösterlichen Bußzeit: Exerzitien im Alltag, Kreuzwegandachten, Bußfeiern, Beichten und Fasten für gute individuelle und gemeinschaftlich-solidarische Zwecke. In der Erforschung ihrer kleinsten Unzulänglichkeiten sind viele Gläubige ebenso ausdauernd und sorgfältig wie die besorgte Hausfrau auf der Suche nach der verlorenen Drachme (Lk 15,9) – nur, dass diese nicht etwas sucht, was zu beseitigen ist, sondern vielmehr danach, was sie schon besitzt, wiedergewinnen und bewahren will. Werden die uns geschenkten Charismen ebenso ausdauernd und sorgfältig erforscht und gepflegt? Zu Recht begehen wir die Heilszeit des sacramentum quadragesimale – begehen wir in vergleichbar spürbarer Weise den fünfzigtägigen „einzigen“ Ostersonntag?

Die 40 Tage münden in die intensive Hohe Woche, das Triduum, den Pascha-Transitus vom Tod zum Leben – und seine liturgische Feier fordert alle Kräfte. Das österlich Halleluja im 6. Ton schwingt sich nicht mehr in luftige Höhen auf, denn alles ist vollbracht und das Heilswerk getan (vgl. Ps 22,32). Es darf fröhlich gegessen und getrunken werden (vgl. 1 Kor 5,7f) – ja, und dann scheint das Fest vorüber.

Denn was geschieht in unseren Gemeinden in der Osterzeit, das vergleichbar mit den Aktivitäten der Quadragesima wäre? Nur die (allzu) vertrauten liturgischen Marker – Halleluja und Osterkerze, die Farbe „weiß“ und Lesungen aus der Apostelgeschichte statt aus dem Alten Testament – zeigen noch etliche Wochen die Fortdauer des laetissimum spatium an. An sie haben wir uns so sehr gewöhnt, dass sie sich nicht in den Vordergrund unserer Wahrnehmung drängen. Anders als die „Fastenzeit“ lässt das Jahres-Pascha seinen existentiellen Ernst weithin vermissen und entfaltet kaum Prägekraft im Leben der Getauften.

Ostertuch statt Fastentuch

Aus der Diskussion um dieses Missverhältnis zwischen dem reichhaltigen pastoralen Programm der vorösterlichen Bußzeit und der vergleichsweise eher unauffälligen, wenig kreativen Begehung der österlichen Freudenzeit ist in unserer an die Benediktinerabtei der Schotten gebundene Gemeinde in Wien eine Idee entstanden: Auf der Suche nach einem zeitgenössischen Ausdruck der österlichen Theologie und Spiritualität, fiel die Entscheidung für ein textilen Kunstwerk. Die Schottenkirche sollte kein übliches Fastentuch bekommen, das etwas (Kreuze und Bilder) verhüllt und der Anschauung entzieht, sondern ein Ostertuch, das sinnlich „offenbart“, worum es in der Jahresfeier von Ostern geht. Als Ort seiner Aufstellung wurde der Taufbrunnen gewählt, an dem alle Tauffeiern während des Jahres und selbstverständlich auch die der Osternacht stattfinden.

Seit der Osternacht 2005 kann man nun in unserer Kirche während der fünfzigtägigen Osterzeit eigens angefertigte Tauf- und Ostertücher betrachten. Sie werden jedes Jahr anders drapiert – sie sind also ein bewegliches, kein statisches Kunstwerk, das immer neue Aspekte des österlichen Hinübergangs vom Tod zum Leben bietet.

Die Tücher, ihre Zahl und ihre Farben

Acht Stoffbahnen, mehrere Meter lang, manche breiter und einige schmaler, wurden beidseitig vielfarbig bemalt, um nicht auf eine Schauseite und eine Rückseite und somit auf einen Blickwinkel festgelegt zu sein.

„Das Repertoire der Symbolik, nicht nur in der Kirche und Liturgie, ist ungeheuer umfangreich; breit und tief. Symbole stehen für etwas und trotzdem sind sie. Die Symbole in unserer Arbeit sind die Farben. Die Farben sind: gelb, erdfarben oder blau zum Beispiel, und sie stehen für etwas. Für den Anfang zum Beispiel, die Schöpfung, Abrahams Prüfung, für das ertragene Leiden der Israeliten in Ägypten; Sand, Durst, Hitze, Sonne; für die Strapazen des Exodus, für Jesu ertragene Leiden, für die Altlasten, die wir mir uns herumtragen. Sie stehen für Wasser, Himmel, Trost, den Anfang des Neuen, Taufe, Befreiung, Erlösung; für das Neue, die Kraft, die Auferstehung, die Entscheidung, den Glauben. Das Taufbecken hat acht Ecken, sieben für das Alte und eine für das Neue. Auch das Verhältnis ist ein Symbol. Wir haben dieses Symbol übernommen und acht Tücher gemalt. Mit vielen Farben für das Alte und vielen Farben für das Neue, für das man sich immer wieder neu entscheiden kann.“ (das Künstlerehepaar Cécile Nordegg und Jonathan Berkh)[1]

Auch kräftiges Rot wird auf zwei Tüchern sichtbar: in wenigen Strichen, zueinander im rechten Winkel – Blut am Türsturz, Blut an den Balken des Kreuzes.

In Vorbereitung auf die Osternacht …

Jedes Jahr am Karsamstag im Anschluss an die Vesper werden die im Stift aufbewahrten Stoffbahnen bereitgelegt. Nach einem prüfenden Blick auf die am Boden entrollten Tücher fällt eine Vorentscheidung, welche farblichen Seiten diesmal besonders zur Geltung kommen sollen. Dann nimmt die Installation nach und nach Gestalt an. Es gibt dafür keine Vorgaben, kein „Urbild“ dessen, was sich zeigen soll, das nachgebaut werden müsste, sondern Spontaneität und Kreativität bringen das „vergängliche“, weil lebendige 50-Tage-Kunsterwerk je neu hervor.

Die Tücher können an dem dafür eigens angeschafften meterhohen Stahlrohrgerüst angebracht werden oder auch an jeder anderen Stelle im Kirchenraum. Dabei entstehen immer neue Assoziationen: Der Aufblick zu dem, der wie die Schlange in der Wüste (vgl. Num 21,9/Joh 3,14) „über die Erde erhöht“ ist (Joh 12,32) eröffnet den Blick auf den zur Rechten Gottes Erhöhten, der alle an sich ziehen wird (vgl. Joh 12,32). Roh ist das Werkzeug, an dem die Erlösung buchstäblich hängt, grob und ungeschönt auch das Gerüst unter der – nicht weich fließenden, sondern körperlich-widerständigen – Textur der Stoffbahnen.

… werden viele biblische Assoziationen wach

Die aus der Höhe herabfallenden „wasserhellen“ und „schlammbraunen“ Tücher lassen weitere Assoziationen zu: Sie erinnern an jene gespaltene Wasserflut, die während des Exodus „rechts und links von ihnen … wie eine Mauer stand“ (Ex 14,22): „Als die Kinder Abrahams, aus Pharaos Knechtschaft befreit, trockenen Fußes das Rote Meer durchschritten, da waren sie ein Bild deiner Gläubigen, die durch das Wasser der Taufe aus der Knechtschaft des Bösen befreit sind.“ (aus dem Hochgebet über dem Taufwasser). Zugleich bieten diese Tücher der Versammlung  um den Taufbrunnen – hierhj Wasserfall und belebende Quelle – einen ebenso erfrischenden Anblick wie das von Mose aus dem Felsen geschlagene Wasser, mit dem „die Gemeinde und ihr Vieh“ auf dem Weg durch die Wüste ihren Durst löschen kann (Num 20,8).

Aufragend und weithin sichtbar symbolisieren die Tücher – je nachdem, ob ihre grau-gedämpfte oder ihre gelb-rötliche Färbung sichtbar wird – auch das Mitgehen Gottes in der Wolkensäule bei Tag und in der Feuersäule bei Nacht (vgl. Ex 13,21f).

Altabt Heinrich Ferenczy resümierte diese Lebendigkeit so: „Wasser, Feuer, Licht – in der Nähe des Taufbrunnens bringen die herabhängenden Tücher Bewegung in diesen Bereich … In die zwar schöne, doch steinerne Architektur zieht somit Leben ein. Nichts ist so beweglich, leichtend, wärmend, aber auch reinigend wie Feuer; große Sehnsucht nach Licht erfüllt uns nach langen Winternächten. Gott ist Licht und keine Finsternis ist in ihm. Er weist uns in Christus den Weg durch die Zeit. Seit der Taufe ist der Geist Gottes auch Quelle des Lebens, das nicht vergeht. Wasser bedeutet Tod und Leben: Wasser kann viel zerstören, wegreißen und vernichten; doch gibt es ohne Wasser kein Leben.“[2]

Kreativität gefragt!

Nicht immer spielt die „hohe“ Hängung am Gerüst die Hauptrolle, denn auch andere Deutungen sind möglich. Im Lauf der Jahre entwickelten sich sehr unterschiedliche Weisen der Drapierung. Den Fuß und den Rand des Taufbrunnens umfließend werden die „lebendigen Wasser“ (Joh 7,38) ebenso sichtbar wie die Tempelquelle, deren Strom sich weder eindämmen noch kanalisieren lässt (vgl. Ez 47,1): Heuer fließt ihr Wasser die Stufen der Kanzel herab … Eine ähnliche Wirkung haben die textilen „Wasserläufe“ am Kirchenboden oder um die Häupter einiger Kirchenbänke geschlungen; die „Einbindung“ von Altar, Ambo oder Osterleuchter wiederum schafft Bezüge zwischen Taufe, Verkündigung und Eucharistie.

Wird die Osterkerze zur Tauffeier an den Taufort übertragen, zeigen sich die lichtfarbenen Tücher der Feuersäule als Widerschein des Lumen Christi, um das Dunkel dieser Nacht zu vertreiben und sein Volk zu leiten (vgl. Exultet).

Auch das Seitenportal der Kirche – davor stehen Taufbrunnen und Osterkerze – wird einbezogen: Sind dort die Tücher mit den roten „Blutspuren“ angebracht, ziehen sie den Blick wiederum nach oben und erinnern an den verschonenden Vorübergang JHWHs angesichts des Blutanstrichs an den Türen der Häuser der Hebräer (vgl. Ex 12,22f) und an „das Lamm, das geschlachtet ist“ (Offb 5,9), damit wir Festmahl halten können (vgl. 1 Kor 5,7f).

… im Leben der Gemeinde

„Die Tücher (…) sollen nicht nur ein Kunstwerk sein, das den Raum dekoriert und einmalig eine Wirkung erzeugt. Sie werden von jetzt an in der Gemeinde und für die Gemeinde da sein: ein Zeichen, das uns ansprechen kann, das uns zu einem vertieften Verständnis unserer Existenz als Getaufte führen will. Wie das geschehen kann, wird sich zeigen. Sicher werden wir das Ostertuch in der Osterzeit sehen, vielleicht entschließt sich aber auch der eine oder andere Taufkandidat, die Tücher als ein Element in die Vorbereitung und die Feier seiner Taufe einzubauen. Vielleicht finden Familien, die ihre Kinder zur Taufe bringen, Gefallen daran, mit diesen Tüchern spielerisch und meditativ umzugehen, sie neu zu legen, sie fließen zu lassen … Wenn dies gelingt, dann hat das Kunstwerk sein Ziel erreicht; Teil des Lebensweges dieser Gemeinde zu sein.“ (P. Christoph Merth)[3]

Postsriptum: Eine verpasste Chance

Kurz vor Ostern gab es eine hitzige Debatte um ein zeitgenössisches Kunstwerk im Wiener Stephansdom. Geplant war, ein neu geschaffenes textiles Triptychon im Dom zu installieren: ein Fastentuch (wie jedes Jahr), erstmals ein Ostertuch und sogar ein Pfingsttuch. Kurz vor der Karwoche verbot das Domkapitel jedoch, das Ostertuch aufzuhängen. Es zeigte einen auferstandenen, verklärten Knaben, der nur mit einem Lendenschurz bekleidet war und die Wundmale Christi trug. Ungeachtet der klassischen christlichen Ikonographie und des theologisch schlüssigen Zusammenhangs zwischen Krippe und Kreuz wurde befürchtet, dass diese Darstellung die Gläubigen skandalisieren und verwirren könnte.

Die Kritik lautete, das Bild sei zu monumental, vor allem im Altarraum, wo die Eucharistie gefeiert wird … Wie sehr haben wir uns an die vielen riesigen Kruzifixe und Statuen von gequälten Märtyrern gewöhnt, dass uns erst ein verwundeter Kinderkörper die Monstrosität der Kreuzigung bewusst macht? Und deshalb –  selbst als verklärter – nicht gezeigt werden darf? Haben wir vergessen, wie irritierend und zugleich überwältigend die Begegnung mit dem auferstandenen Christus gewesen sein muss? Und ist uns nicht mehr bewusst, dass in der Eucharistie der gebrochene Leib und das für uns vergossene Blut Christi gereicht werden?

Eine Initiative und ihr abruptes Ende, eine verpasste Gelegenheit … auch das vielleicht ein Grund, die Osterzeit nicht einfach vorbeiziehen zu lassen?

DDr. Ingrid Fischer (THEOLOGISCHE KURSE)


» Zu weiteren Bildern der Ostertücher

Unter Verwendung von: Ingrid Fischer, Steht auf zum Leben! Die Tauf- und Ostertücher im Schottenstift/Wien, in: Heiliger Dienst 71 (4, 2017) 323-329.


Fußnoten:

[1] P. Christoph Merth, Harald Buchinger, Ingrid Fischer, Steht auf zum Leben. Ein Buch zu den Ostertüchern von Cécile Nordegg und Jonathan Berkh (hgg. von Museum im Schottenstift Betriebsges. m. b. H. Wien) 2005, unpaginiert.

[2] Ebd.

[3] Ebd.

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