Biblisches zur aktuellen Krise

Beitrag von Univ.-Prof. Dr. Georg Fischer SJ

Die Pandemie und ihre Folgen lassen nach Orientierung suchen. In der Bibel finden sich mehrere Texte, die sich dafür anbieten. Zuerst ist an das Motiv vom „Aussatz“ zu denken, der als ansteckende Krankheit angesehen wurde, auch wenn es sich oft nur um ungewöhnliche Veränderungen an der Haut handelte (T. Hieke).

Levitikus 13 beschreibt dazu das Untersuchen durch den Priester, gleichsam die damalige Form des „Testens“. Die als „unrein“ und damit als möglicherweise infizierend deklarierten Personen werden isoliert (v46: „außerhalb des Lagers“ wohnen) und haben die Verpflichtung, soziale Distanz zu wahren. Dazu gehört das Warnen schon durch die äußerliche Erscheinung sowie das Rufen (v45). Die ‚Quarantäne‘ in der Bibel besteht in der Isolierung der vielleicht ansteckenden Personen, nicht der Gesunden; die ganze Gemeinschaft kann durch diese Schutzmaßnahme ihr gewohntes Leben weiterführen.

Das folgende Kapitel Lev 14 beschreibt das Vorgehen bei Heilung vom „Aussatz“. Wieder erfolgt eine Untersuchung durch das „geschulte Personal“ dafür; den Priestern dort entsprächen Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger in der heutigen Medizin. Wer gesund geworden ist, soll aus Dankbarkeit Gott ein Opfer darbringen. Im Neuen Testament heilt Jesus wiederholt Aussätzige (z.B. Markus 1,40–45; Lukas 17,11–19) und zeigt so, dass er keine Angst vor Kontakt mit ihnen und nicht einmal vor Berührung hat (Mk 1,41). Er vermittelt damit in seiner Person, wie Gott von allen Krankheiten, auch solchen gefährlichen, befreit (vgl. Psalm 103,3).

Das Motiv „Aussatz“ begegnet in einigen anderen Texten, so in Exodus 4,6 bei Mose, in Numeri 12,10–15 bei Mirjam und in 2 Könige 5, zuerst beim aramäischen Feldherrn Naaman und schließlich (v27) bei Elischas Diener Gehasi. Das gemeinsame Element im Vorkontext bei Mose, Mirjam und Gehasi ist immer übles (Nach-) Reden oder Lügen – so vermittelt die Bibel, wie ‚infektiös‘ und Gemeinschaft zerstörend solches Sprechen (und bei Gehasi zusätzlich das korrupte Streben nach persönlichem Gewinn) ist, als eindrückliche Warnung, sich dessen zu enthalten.

Eine andere Erzählung dagegen weist beispielhaft auf, wie gerade ‚Aussätzige‘, d.h. übertragen auf heute: Menschen am Rand der Gesellschaft, Ausgeschlossene, Geringgeschätzte, Arme, Kranke, Sterbende, Flüchtlinge, … – durch ihren Kontakt mit anderen, oft ausgeblendeten Seiten der Wirklichkeit wertvolle Erfahrungen vermitteln können, die zum Überleben der Gemeinschaft beitragen. Der kleine Beitrag mit dem Titel „Draußen vor dem Tor“ schließt diese in 2 Könige 7 erzählte Geschichte auf.

Die Bibel enthält eine Fülle von weiteren Impulsen zur momentanen Lage. Hier sollten nur einige mit Infektion (‚Aussatz‘) zusammenhängende Aspekte kurz in den Blick kommen, als Anregung, das uns Widerfahrende tiefer zu begreifen und daraus zu lernen.

Draußen vor dem Tor

(2 Könige 7)

In der Stadt Samaria herrscht wegen der aramäischen Belagerung extreme Hungersnot. Die Preise sind inflationär ins Astronomi­sche gestiegen (2 Kön 6,25), und sogar Fälle von Kannibalismus treten auf (v28–29).

Noch aussichtsloser ist die Lage der vier Aussätzigen (2 Kön 7,3). Nach der Vorschrift (Num 13,46) halten sie sich außerhalb der Gemeinschaft auf, am Eingang des Tores. Doch für sie, die ausgestoßenen Kranken, wartet überall nur der Tod (v4). Wenn in der Stadt schon Hunger verbreitet ist, wer wird noch die vor der Stadt mit Nahrung versorgen? In ihrer Verzweiflung sehen die vier Aussätzigen die einzige Überlebenschance im Überlaufen zu den Aramäern.

Zu ihrer Überraschung ist im feindlichen Lager niemand (v5). Sie können sich’s dort gut gehen lassen, tragen Wertvolles weg und verstecken es (v8). Dann regt sich die Verantwortung, ihre Be­obachtung unverzüglich weiterzumelden; der Bericht geht von ihnen über die Torwächter zum Palast und erreicht in der Nacht den König, der – fern vom Geschehen – die aramäischen Pläne zu wissen glaubt (v9–12). Ein Diener vermag ihn zu überzeugen, dass sie nichts zu verlieren haben mit einer Erkundung (v13). Diese bestätigt den Bericht der Aussätzigen und führt dazu, dass die von Elischa angesagte Normalisierung eintritt (v14–16; vgl. v1: die üblichen, billigen Preise, die ein reichliches Nahrungsange­bot voraussetzen).

*

Draußen vor dem Tor sind vier Aussätzige ausgewiesen, verstoßen, dem Verhungern preisgegeben. Es sind Menschen, die von den ande­ren abgewiesen, ausgegrenzt werden. In schwierigen Zeiten, wo der Gürtel enger geschnallt werden muss, meinen manche Gemein­schaften entpflichtet zu sein, sie zu versorgen.

Draußen vor dem Tor sind vier Aussätzige zwischen die Fronten geraten. Hunger und Ablehnung auf der einen, Feinde auf der anderen Seite. Es ist leichter, Verachtung und Hass Fremder als Lieblosigkeit und Abweisung durch die eigenen, vertrauten Men­schen zu ertragen. Das Überlaufen zum Gegner wurzelt in der Behandlung durch die Gemeinschaft.

Draußen vor dem Tor werden vier Aussätzige zu Rettern. Anders als ihre Volksgenossen in der Stadt wissen sie um ihre Verant­wortung und kommen ihr nach. Ihre sofortige Meldung erlöst die in Angst, Isolation und Illusionen gefangene Gemeinschaft und bereitet dem Hunger ein Ende.

 *                    *

Die vier Aussätzigen vor dem Tor sind Symbol für all jene, die einer in sich gefangenen, sich selbst eingrenzenden Gesellschaft Kunde von außen bringen: Sie berichten von dem, was innerhalb der Mauern von Angst und Einbildung nicht wahrgenommen werden kann. Sie erzählen von dem, was außerhalb der – scheinbar schät­zenden und doch todbringenden – eigenen Gemeinschaft an Verände­rung geschieht. Sie bringen die frohe Botschaft von neuem Leben und Hoffnung, an die Menschen, die wegen ihrer Feindbilder nicht über den Rand ihres städtischen Sicherheitshorizontes hinaus­blicken, sonst nie glauben könnten.

Unsere Erzählung spielt in den Auseinandersetzungen zwischen dem Aramäerstaat und dem Nordreich Israel im ausgehenden 9. Jh. v.Chr., wurde aber erst Jahrhunderte später niedergeschrieben. Sie unterstreicht ihre Aussage durch die Rahmenhandlung. Die Ansage Elischas (v1) begegnet dem mit frommen Ausdrücken (Jahwe, Schleusen des Himmels; auch in Gen 7,11; 8,2 …) sich tarnenden Unglauben des königlichen Offiziers in v2.

Wie dieser Oberst seine politische und militärische Einschätzung für richtig hält, so sind auch andere Menschen gefangen in Illu­sionen: Die Aus­sätzigen wollen ‚überlaufen‘ (v4), was aber wegen der Flucht der Aramäer nicht mehr möglich ist. Die Feinde rennen Hals über Kopf davon, weil sie das Geräusch, das Gott sie hören lässt, fälsch­lich als Anrücken der hethitischen und ägyptischen Könige deuten (v6f; ironisch übertreibend zweimal der Plural ‚Könige‘). Der König von Samaria meint, noch dazu übernächtig und ohne sonstige Informationen, genau zu wissen, was die Aramä­er vorhaben (v12).

In einer solchen Welt des Scheinwissens, der Ängste, Täuschun­gen, Feindbilder und Illusionen gibt es als einzigen Halt Gottes Wort. Von seiner Ansage (v1–2) zieht es sich durch bis zu seinem Eintreffen (v17–20). Gottes Wort verwirklicht sich durch die Menschen drau­ßen vor dem Tor und die Diener (die Torwächter, die die Meldung weitergeben v10f; der Diener in v13), die im Kontakt mit dem Leben, der Wirklichkeit stehen. Selbst wo es ihnen nicht bewusst ist, tragen sie zur Erfüllung des göttlichen Wortes und damit zum Überleben der Gemeinschaft bei. „Die draußen“ und „die unten“, die Kranken, die Diener und die Außenseiter gehören dazu!

Georg Fischer SJ

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