Was für eine Szene![1] Das Fest, dem in der katholischen Leseordnung dieser eindrucksvolle Text zugeordnet ist, hatte seit seiner Entstehung im 4. Jahrhundert in Ost und West variierende Namen und Inhalte: aus dem ursprünglichen Marientod – ihrer Entschlafung und Versetzung aus dem Grab in den Himmel – wurde ihr aktiver Hinübergang, volkstümlich Mariä Himmelfahrt. 1950 als Dogma verkündet, feiert die katholische Kirche am 15. August nun korrekt formuliert die passive leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel.
Der eben gehörte Abschnitt stammt aus dem letzten Buch der christlichen Bibel, der „Offenbarung des Johannes“, einer um das Jahr 70 verfassten Trostschrift für sieben verfolgte Christengemeinden Kleinasiens. Er ist hochdramatisch: Eine Frau wird während ihrer Niederkunft von einem gefährlichen Drachen bedroht, der darauf lauert, ihren zur Herrschaft über die Völker bestimmten Sohn zu fressen. Kaum geboren, wird er jedoch wundersam in den Himmel entrückt. Was folgt, spart der eben gehörte Text aus: Seine Mutter kann in die Wüste fliehen, wo sie während ihrer Verfolgung versorgt wird. In dem danach tobenden Endkampf zwischen dem Erzengel Michael und seinen Scharen mit dem Drachen – der den Satan symbolisiert–, stürzt dieser samt Gefolge aus dem Himmel auf die Erde, um noch eine Zeitlang sein Unwesen zu treiben. Erst beim Ruf der Sieger setzt der Lesungstext wieder ein.
Ein seltsamer Vorgang, doch für wen oder wofür stehen die Akteure? Die kosmisch ausgestattete Frau steht anfangs für die Kirche, später für Maria, denn sie gilt als Urbild der Kirche. Ihrem Sohn, dem Gesalbten Gottes und künftigen Weltenherrscher, wird letztlich der rettende Sieg über die widergöttliche Macht zuerkannt. In der Bibel finden sich für diese Macht des Bösen auch die Bezeichnungen „die alte Schlange“, ewiger Verführer und Ankläger der Menschen. So endet eine Feindschaft, die im ersten Buch der Bibel, dem Buch Genesis, mit dem Sündenfall ihren Anfang genommen hatte: Dort heißt es „Feindschaft setze ich zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen. Er trifft dich am Kopf und du triffst ihn an der Ferse.“ (Gen 3,15)
Doch eine kleine Textvariante in der lateinischen Bibel Vulgata – aus ipsum wurde ipsa – machte statt des Nachkommen die Frau selbst zur Schlangenzertreterin. So hat Maria sich – verschmolzen mit der Erscheinung der sternenumkränzten apokalyptischen Frau – in unzähligen Gemälden und Skulpturen der katholischen Ikonografie und Frömmigkeit eingeschrieben.
Manchmal würde ich dieses Mädchen aus Israel gerne mit leisem Zweifel fragen, ob sie sich darin wiederfindet, so erhaben über ihre Geschlechtsgenossinnen? Nein, ich sehe Maria in diesem Text der Offenbarung als Versprechen an alle Frauen, die in U-Bahnstationen und Bunkern, schutzlos in Todesangst gebären, die vor den Drachen in Menschengestalt über Meere und in Wüsten fliehen und deren Kinder grausame Tode sterben. Ein Versprechen auch an alle, die dem Bösen zum Trotz Gutes „zur Welt“ bringen und dabei wie die symbolische Frau aus der Offenbarung und wie Maria in Lebensgefahr geraten, fliehen müssen, Ohnmacht erfahren. Mein Trost, vielleicht auch ihr Trost, kommt aus dem Glauben an jenen Nachkommen der Frau, der dem Tod das letzte Wort genommen hat und der Leben vollendet.
Mag. DDr. Ingrid Fischer, THEOLOGISCHE KURSE
Der Text wurde in der Ö1-Sendung Lebenskunst vom 15.8.23 gesendet: https://religion.orf.at/radio/stories/3220699/
[1] Offb 11,19a; 12,1–6a.10ab: „Der Tempel Gottes im Himmel wurde geöffnet und in seinem Tempel wurde die Lade seines Bundes sichtbar: Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt. Sie war schwanger und schrie vor Schmerz in ihren Geburtswehen. Ein anderes Zeichen erschien am Himmel und siehe, ein Drache, groß und feuerrot, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern und mit sieben Diademen auf seinen Köpfen. Sein Schwanz fegte ein Drittel der Sterne vom Himmel und warf sie auf die Erde herab. Der Drache stand vor der Frau, die gebären sollte; er wollte ihr Kind verschlingen, sobald es geboren war. Und sie gebar ein Kind, einen Sohn, der alle Völker mit eisernem Zepter weiden wird. Und ihr Kind wurde zu Gott und zu seinem Thron entrückt. Die Frau aber floh in die Wüste, wo Gott ihr einen Zufluchtsort geschaffen hatte. Da hörte ich eine laute Stimme im Himmel rufen: Jetzt ist er da, der rettende Sieg, die Macht und die Königsherrschaft unseres Gottes und die Vollmacht seines Gesalbten.“
Danke für die Wiedeholung der Lebenskunst
Vom 15.08.2023 Maria und die johannesoffeb.